»Im Mut zu klaren Entscheidungen zeigt sich der Entrepreneur«
Von Dr. Ralf Berker
Mein letzter Blog-Beitrag endete mit dem Hinweis, dass der Mensch im Zentrum dessen steht, was in Veränderungsprozessen zu berücksichtigen ist. Also lohnt es sich bestimmt, hier einmal genauer hinzusehen. Was macht den Menschen Veränderungen gegenüber so überaus skeptisch?
Ganz einfach: Die Antwort liegt in seiner Geschichte! Wenn unsere Vorfahren vor 100.000 Jahren eine Höhle bewohnt haben, so war es von elementarer Bedeutung zu wissen, dass sie darin vor ihren Feinden sicher waren. Kam ein solcher »Höhlenmensch« auf die Idee, in eine andere Höhle umsiedeln zu wollen, so war das mit erheblichen Risiken verbunden. Woher sollte er wissen, ob nicht genau in diesem äußerlich attraktivem Gestein bereits eine Bärenfamilie ihre Heimat gefunden hatte? Er konnte es natürlich einfach darauf ankommen lassen und musste im schlimmsten Fall dafür mit seinem Leben bezahlen. Zum Glück sind die wenigsten Veränderungsprozesse in unserer heutigen Kultur von solch gravierender Tragweite. Dennoch hat die Angst vor Veränderung sich in unserem Stammhirn ihren ganz eigenen Stammplatz gesichert.
Bleiben wir bei dem anschaulichen Beispiel des Neandertalers auf Wohnungssuche. Welche Alternativen hat er zu dem lebensgefährlichen Selbstversuch?
Anderen den Vortritt lassen!
Die berühmten »Early Adopters« tun dies. Was ist damit gemeint? Nehmen wir die Definition, die Michael Schenk in seinem Buch Medienwirkungsforschung von 2007 verwendet. »Early Adopters gehören – nach den eigentlichen Innovatoren – zu den ersten, die neue Ideen übernehmen.« Was also bedeutet, dass wir gar nicht zwingend zu den Innovatoren gehören müssen, um erfolgreich in Veränderungsprozessen zu sein. Manchmal kann es genügen, frühzeitig zu erkennen, dass es Innovationen gibt, deren Anwendung zwar noch ein Experiment, deren Erfolgsaussichten aber durchaus vielversprechend sind. Schließlich schreibt Torsten Scheller in seinem Buch »Auf dem Weg zur agilen Organisation« (2017), dass der Kern von Agilität das „»Anpassen durch Lernen« ist. Und er definiert Agilität so, sich auf ein Experiment einzulassen und auf das (hoffentlich) unmittelbar erfolgende Feedback zu reagieren. Dem Begriff der Agilität werde ich mich in einem der nächsten Blog-Beiträge vertiefend widmen.
Zurück zu unserem Neandertaler. Er könnte einem seiner Freunde von der großartigen Höhle erzählen, die er auf der anderen Seite des Berges entdeckt hat und ihm den Vortritt lassen. Wenn dieser nach zwei Wochen noch lebt, wurde die Höhle wohl nicht von einer unfreundlichen Bärin bewacht . Allerdings ist die Höhle damit für unseren Neandertaler auch nicht mehr verfügbar. Im Umkehrschluss bedeutet das für jeden einzelnen von uns, dass der Weg des Early Adopters durchaus ein gangbarer sein kann. Er impliziert aber immer auch das Risiko, dass vielleicht mein direkter Wettbewerber einen kleinen, aber entscheidenden Vorsprung hat.
Veränderungen kosten Zeit und Geld
Eine weitere Alternative für unseren Vorfahren bestünde darin, dass er einen der eigentlich für das Abendessen gefangenen Hasen nimmt, und diesen vor der Höhle anbindet. Anschließend begibt er sich in ein Versteck in Sichtweise und beobachtet, was vor der Höhle passiert. Befindet sich der Hase nach zwei oder drei Tagen noch immer dort, ohne dass er durch einen aus der Höhle kommenden Bären Schaden genommen hat, so ist wohl davon auszugehen, dass die Höhle nicht bewohnt ist. Das heißt verallgemeinert: Um das Ergebnis und die Verbesserung des Systems (Bezug der neuen Höhle) zu testen, bedarf es des Einsatzes verfügbarer (also sonst an anderer Stelle eingesetzter) Ressourcen und der Zeit der Beobachtung des Systems, wie dieses auf Impulse von außen reagiert.
In jedem Fall liefert der Einsatz von Ressource und Zeit eine Vorstellung davon, ob der Veränderungsprozess von Erfolg gekrönt sein könnte oder eben nicht. Was bleibt, ist die Unsicherheit des „könnte“.
Unsicherheit gehört zum Geschäft
Bei allen Möglichkeiten und Optionen, Veränderungen im Vorfeld zu verstehen oder abschätzen zu können, bleibt ein gewisser Grad an Unsicherheit. Und genau diese Unschärfe ist es, die von Unternehmern und Führungskräften den Mut zu klaren Entscheidungen verlangt. Denn exakt darin zeigt sich der Entrepreneur: Auf Basis vorhandener Informationen und aktueller Kenntnis der Sachlage Entscheidungen im Sinne des Unternehmens zu treffen. Und zwar auch dann, wenn noch nicht alles zu 100 % geklärt ist und auch dann, wenn immer noch die Möglichkeit einer Fehlentscheidung besteht.
Siehe auch die anderen Teile dieser Serie:
Teil 3: Wie sieht Führung in Veränderungsprozessen aus? Auf die richtige Balance kommt es an!
Teil 4: Wie führe ich ein Unternehmen ohne Führungskräfte?
Teil 5: Probleme lösen mit dem Double Diamond-Modell
Teil 6: Wie Führungskräfte die richtige Balance im Umgang mit Expertenwissen finden
Dr. Ralf Berker ist Trainer, Coach, Berater und Moderator für Großveranstaltungen. Darüber hinaus organisiert und managt er Strategieworkshops seiner zum großen Teil mittelständischen Kunden. Bevor er diese Aktivitäten unter dem Label „Berker IMPULS“ vor sechs Jahren startete, war der ausgebildete Elektrotechnikingenieur als Geschäftsführer, als Bereichs- und Vertriebsleiter in der Informations- und Kommunikationstechnik sowie in der Energie- und Automatisierungstechnik tätig.