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Leader, Manager, Experte oder Coach? Wie Führungskräfte ihre Rolle(n) im Unternehmen finden und ausüben

Führungskräfte
Der Manager beispielsweise ist jemand, der dem Team vorangeht und weiß, was zu tun ist. Damit alle am gleichen Strang ziehen, setzt er Ziele und Prioritäten. (Bild: Gerd Altmann / Pixabay)

Moderne Führungskräfte stellen sich auf die Führungssituation ein

Von Dr. Ralf Berker

Liebe Leserinnen und Leser, mein letzter Beitrag an dieser Stelle beschäftigte sich mit der Fragestellung, wie stark Führungskräfte in die Rolle von Experten schlüpfen müssen oder sollten. Resümierend habe ich festgestellt, dass das Expertenwissen für eine Führungskraft nicht unbedingt schädlich ist, dass es aber nur eine von mehreren Rollen ist, die eine Führungskraft in ihrem Arbeitsalltag besetzen muss.

Welche Führungsrollen gibt es?

Zu den Rollen einer Führungskraft gibt es eine Menge an Literatur und wissenschaftlichen Abhandlungen. Sowohl in meiner aktiven Zeit als auch während meiner systemischen Ausbildung hatte ich mit vielen davon zu tun und durfte einige in ihrer Anwendbarkeit testen.

Im Rahmen meiner Führungskräftetrainings für die Siemens AG wurde mit dem Börsengang der Siemens Healthineers 2018 ein neues Modell etabliert, das inzwischen auch von vielen anderen Unternehmen in dieser oder einer abgewandelten Form verwendet wird.

Führungskräfte

Wie bei vielen Modellen gibt es auch hier eine Unterteilung in vier Quadranten. Der Leader, der Manager, der Coach und der Experte. Zuvor werfen wir jedoch einen Blick auf die genannten vier Rollen. Hierbei werde ich der Einfachheit halber im ganzen Text ausschließlich die männliche Form verwenden. Leaderin und Coachin klingt merkwürdig, und natürlich sind stets alle Gender-Formen gemeint.

Der Leader

Die Frage, warum wir an vielen Stellen auf englische Begriffe ausweichen, obwohl es doch deutsche Übersetzungen gibt, dürfte bei diesem Wort und dem Hintergrund der deutschen Geschichte klar sein.

Das Modell beschreibt den Leader als eine „echte“ Führungspersönlichkeit. Das ist jemand, der einen Raum betritt und alle im Gespräch verstummen. Man blickt auf ihn und erwartet förmlich, dass eine Rede oder zumindest eine wichtige Ansprache erfolgt. Zum Leader schauen die Mitarbeitenden auf und wollen sich an ihm orientieren. Sie erkennen, dass im Denken und Handeln des Leaders der richtige Weg eingeschlagen ist, und möchten ihm nachfolgen. Wenn er etwas tut, möchte man es auch tun. Die Tat wirkt überzeugend, ohne dass etwas gesagt werden muss.

Das liegt auch daran, dass der Leader nicht nur regelmäßig wertschätzendes Feedback gibt, sondern immer auch Feedback für seine Verhaltensweisen einfordert, dieses wohlwollend aufnimmt und in das eigene Handlungsrepertoire integriert. Zum Leader schaut man auf und möchte so sein wie er.

Der Manager

Der Manager ist wohl das, was wir unter einer „klassischen Führungskraft“ verstehen. Er ist jemand, der seinem Team vorangeht und weiß, wo es lang geht. Damit alle an dem gleichen Strang ziehen, setzt er klare Ziele und Prioritäten. Bei ihm wissen die Mitarbeitenden jederzeit, woran sie sind, und es gibt wenige Fragen, da eigentlich alles klar geregelt ist.

Der Manager unterstützt durchaus auch eigenverantwortliches Handeln und Denken und schafft damit ein Verantwortungsbewusstsein bei den Mitarbeitenden, allerdings ist alles stets an den gesetzten Zielen auszurichten und bei der Entscheidungsfindung geht er vorneweg, gibt klare Empfehlungen oder entscheidet direkt selbst.

Der Coach

In diesem Bereich nimmt die Führungskraft die Rolle des Fragenden ein. Führungskraft als Coach ist an vielen Stellen heute ein neuer Zeitgeist, darf aber auch nicht als Ausschließlichkeitsvorgabe verstanden werden. Der Coach arbeitet sehr stark über die Motivation zur Eigenverantwortlichkeit des Mitarbeitenden. Hier findet der Begriff des „Empowerments“ häufig Verwendung. D.h. den Mitarbeitenden dazu zu befähigen, selbst die „Power“ zur Entscheidungsfindung aufzubauen. Es geht ihm darum, sein Team durch die richtigen Fragen auf den richtigen Weg zu schicken. Der „richtige“ Weg ist hierbei nicht der des Chefs, sondern der Weg des Mitarbeitenden.

Der Coach unterstützt auch bei der Lösungsfindung, tut das aber deutlich indirekter und vorsichtiger, da es ihm darauf ankommt, dass die Mitarbeitenden eine eigene Autonomie aufbauen und im eigenverantwortlichen Handeln Fehler machen, daraus lernen und wachsen.

Der Experte

Mit der Rolle des Experten hatte ich mich im letzten > Blog-Beitrag ausführlich beschäftigt. Der Experte ist Ratgeber und stellt weniger Fragen als dass er Antworten gibt. Er kennt sich mit den Themen der Mitarbeitenden aus, kennt die Lösungen für die drängendsten Probleme und teilt diese dem Betroffenen auch direkt mit. Für die Experten spielt auch der Austausch mit anderen Erfahrungsträgern eine wichtige Rolle, da er dadurch weiteres Wissen aufbauen und vertiefen kann.

Welche Rolle ist nun die Richtige?

Das Schöne an diesem Modell ist eine mögliche Zweiteilung in die Kategorien „klassischer Führungsstil“ und „moderner Führungsstil“. So sind die dem Manager und Experten zugedachten Eigenschaften stark in einem klassischen Verständnis von Führung verankert. Hier geht es um klare Vorgaben, um die Weitergabe von Wissen und Kompetenz und um das Führen mit Zielen anhand klar definierter Performance Indikatoren (KPIs).

Der Coach und der Leader stehen auf der Seite der modernen (zum Teil agilen) Führungsmethoden. Hier geht es eher um das Vorleben, um die richtigen Fragen und eine hohe Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeitenden. Hier steht weniger die Kontrolle auf Basis von Indikatoren im Fokus, als vielmehr das Vertrauen darauf, dass das Team eigenverantwortlich das Richtige tut.

Brauchen wir also ab sofort nur noch Coaches und Leader? Die klare Antwort lautet nein!

Bereits 1977 hatten Hersey und Blanchard das Modell des situativen Führens publiziert und dort einige Grundbegriffe, wie die Beziehungs- und die Aufgabenorientierung und den Reifegrad des Geführten, eingeführt. Wenngleich es einige Kritik bzgl. der fehlenden Validität dieses Modells gibt, so ist doch eines klar: Die richtige Wahl der jeweiligen Rolle, in die Führungskräfte gehen sollten, hängt von der jeweiligen Führungssituation ab. Da spielt die Beziehung, die Aufgabe, der Reifegrad (also die persönliche und individuelle Entwicklung) und die persönlichen Eigenschaften des Geführten eine maßgebliche Rolle.

So wie der Kölner sagt: „Jeder Jeck is anders“, gilt das auch für die Mitarbeitenden in meinem Team. Während das eine Teammitglied sehr gut mit vielen Freiheiten leben kann, so benötigt das andere eine etwas oder sogar deutlich engere Führung.

Wenn die Produktionshalle in Flammen steht, werden Führungskräfte keinen Arbeitskreis bilden und die richtigen Fragen stellen, sondern eine klare Ansage machen, dass die Halle sofort zu verlassen ist. Eigenverantwortlichkeit hin oder her…

Ergänzend kommt für mich noch ein weiterer Punkt dazu. Der kölsche Leitsatz gilt nämlich nicht nur für Mitarbeiter, sondern auch für die Führungskräfte. Und für diese ist es wichtig, in einem gewissen Rahmen auch authentisch zu bleiben. Also heute 100 % Manager und morgen 100 % Coach wird die Mitarbeitenden überfordern und mich als Führungskraft unglaubwürdig erscheinen lassen.

Bleibt also alles so, wie es ist?

Hoffentlich nicht! Sehen Sie es als Ihre persönliche Herausforderung, sich mehr und mehr in Richtung Leader und Coach zu entwickeln! Seien Sie sensibel dort, wo es den Manager oder Experten verlangt, aber trauen Sie den Mitgliedern Ihres Teams Tag für Tag ein Stückchen mehr an Eigenverantwortung zu. Und freuen Sie sich auf den angenehmen Nebeneffekt, dass Sie mehr Zeit für Führung gewinnen.

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Rollensuche!

Siehe auch die anderen Teile dieser Serie:

Teil 1: Die Zukunft der Energiebranche bringt Veränderungen – die Menschen müssen dafür gewonnen werden

Teil 2: Die alte Höhle verlassen? Seit Urzeiten tut der Mensch sich schwer mit Wandel und Veränderung

Teil 3: Wie sieht Führung in Veränderungsprozessen aus? Auf die richtige Balance kommt es an!

Teil 4: Wie führe ich ein Unternehmen ohne Führungskräfte?

Teil 5: Probleme lösen mit dem Double Diamond-Modell

Teil 6. Wie Führungskräfte die richtige Balance im Umgang mit Expertenwissen finden

Dr. Ralf Berker ist Trainer, Coach, Berater und Moderator für Großveranstaltungen. Darüber hinaus organisiert und managt er Strategieworkshops seiner zum großen Teil mittelständischen Kunden. Bevor er diese Aktivitäten unter dem Label „Berker IMPULS“  vor sechs Jahren startete, war der ausgebildete Elektrotechnikingenieur als Geschäftsführer, als Bereichs- und Vertriebsleiter in der Informations- und Kommunikationstechnik sowie in der Energie- und Automatisierungstechnik tätig.

www.berker-impuls.de
info@berker-impuls.de

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