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Noch ist die Handbremse für die Wasserstoffbranche nicht gelöst

Wasserstoffbranche
Die Wasserstoffbranche signalisierte im Oldenburger Schloss Handlungsfähigkeit für den bervorstehenden Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft. (Bilder: beyondgas)

beyondgas2023: Wasserstoffbranche demonstriert Tatendrang und Startbereitschaft

WasserstoffbrancheDer Wasserstoffkongress beyondgas2023 in Oldenburg darf im Rückblick als großer Erfolg verbucht werden. Die Teilnehmerzahl wuchs beachtlich. Vor allem aber wurde die Veranstaltung im Oldenburger Schloss ihrem Anspruch gerecht, Infoplattform und Impulsgeber für eine Branche zu sein, die noch in der Findungsphase steckt. In mehr als 65 Beiträgen – Keynote- und Impulsformate sowie Break-Out-Sessions – wurden die verschiedenen Stationen der Wasserstoffwertschöpfungskette sowie Zukunftsszenarien besprochen und diskutiert. Die integrierte Ausstellung im Schlosshof und die Abendveranstaltung boten viel Raum fürs Networking. Die rund 330 Teilnehmenden gingen mit dem Gefühl nach Hause, eine inspirierende Veranstaltung erlebt und ein umfassendes Update erhalten zu haben. beyondgas2024 wird am 17.-19. September 2024 stattfinden.

Messen und Kongresse sind Seismografen für Marktschwingungen. Besonders interessant ist das Studium der Vibes in Märkten, die noch am Anfang sind. Wo steht die Branche? Wie hoch ist das Veränderungstempo? Welche Hürden gibt es? Wer spielt mit? Wann kommt der Durchbruch?

Noch folgt jedem JA ein ABER

Für die Wasserstoffbranche ist die Entfesselung noch nicht gelungen. Egal wer in Oldenburg vortrug, diskutierte oder Resümee zog  – dem „JA“ folgte stets ein „ABER“. Die Politik wurde nicht mehr so laut kritisiert wie im Vorjahr. Trotzdem gab es kaum Wortbeiträge ohne die Mahnung, dass alles schneller gehen müsse mit der Regelfindung für den Wasserstoff. Die Branche entwickelt sich zwar dynamisch weiter, steht aber nach wie vor an der Schwelle, ein echter Markt zu werden. Die Kongressmacher haben diesen Schwebezustand mit dem Titel für ihre Veranstaltung präzise beschrieben: „Wege öffnen für die Wasserstoff-Ökonomie“.

Auf allen Ebenen leisten Akteure eifrig (Vor-) Arbeit

Der beyondgas2023-Kongress zeichnete ein vielfältiges Bild, dass auf allen Ebenen der zukünftigen Wasserstoff-Ökonomie eifrig praktische (Vor-) Arbeit geleistet wird. Dr. Urban Keussen, Vorstand der EWE AG, prägte in der Opening-Session den treffenden Begriff „von Power Point zur Hardware“. Netzbetreiber sind dabei, ein Wasserstoff-Kernnetz zu entwickeln und die Infrastruktur für den Wasserstofftransport technisch fitzumachen. Speicherbetreiber sondieren Möglichkeiten der Wasserstoffspeicherung. Allerorten entstehen Projekte zur lokalen grünen Wasserstofferzeugung und praktischen Nutzung. Importeure sondieren Wasserstoffquellen und Anlandungswege. Internationale Partner, zum Beispiel in Dänemark (Partnerland von beyondgas2023), stehen bereit, den zukünftigen Wasserstoffhunger Deutschlands zu stillen. Kaufmännische und wirtschaftliche Fragestellungen sowie potenzielle Geschäftsmodelle werden immer konkreter. Motivation und Optimismus der Wasserstoffakteure – das war in Oldenburg allenthalben spürbar – sind riesengroß.

Der Schwarze Peter hat einen neuen Hauptwohnsitz

Doch die Handbremse ist noch nicht gelöst. Der schwarze Peter hat seinen Hauptwohnsitz aktuell nicht mehr in Berlin, sondern in Brüssel. Konkret fehlen grünes Licht für die Mittelfreigabe der IPCEI-Projekte durch die EU-Kommission und konkrete Festlegungen z.B. zu RED II, aber auch weitere nationale Regulierungsvorgaben.

Wasserstoffbranche

Networking im Ausstellungszelt beim Kongress beyondgas2023.

Was sagen die Akteure selbst? energie.blog hat Stimmen auf dem Kongress eingefangen und in sozialen Medien Kommentare sondiert:

Stephan Weil, Ministerpräsident des Landes Niedersachsen:
„Niedersachsen dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit das Energieland Nr. 1 in Deutschland werden, das Land, wo am meisten erneuerbare Energie erzeugt wird. Aber wir haben auch die Aussicht, das Wasserstoffland Nr. 1 in Deutschland zu sein.
„Ich glaube, die Anforderungen an das alte und an das neue Energiesystem sind eigentlich dieselben. Es muss eine sichere Energieversorgung sein, sie muss sauber sein, und sie muss bezahlbar sein. Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, wird Wasserstoff eine große Rolle spielen in Deutschland.“

Michael Dammann, Technischer Geschäftsführer, Gasnetz Hamburg GmbH:
„Infrastruktur ist einer der ersten und wichtigsten Punkte. Was wir aber merken in dem Projekt: Je weiter wir ins Detail gehen, desto mehr Herausforderungen kommen zu Tage.“

Dr. Carsten Borchers, Geschäftsführer, E.ON Hydrogen GmbH:
„Wir müssen durch die Lernkurve durch, um beim Wasserstoff aus Sekt Selters zu machen.“
„Wir haben hier und jetzt die Möglichkeit, dass wir Wertschöpfungsketten ändern. Wir können geschickt dezentral die Energie erzeugen, auch im Wasserstoff. Wir können Investitionschancen für Kunden eröffnen, dass sie teilweise ihre Energie selber produzieren und selbst ihres Glückes Schmied sind.“

Christian Seyfert, Hauptgeschäftsführer, Verband der industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK):
„Wasserstoff – Sekt oder Selters? Wenn Wasserstoff Sekt bleibt, dann scheitert die Energiewende, und dann scheitert auch die industrielle Transformation zur Klimaneutralität.“
„Wir brauchen für Wasserstoff 4G: Geschwindigkeit, genug, günstig und grün.“
„Die Unternehmen stehen in den Startlöchern.“

Paul Schneider, H2-Botschafter, EWE AG:
„Wenn wir es ernst meinen, tun wir alle hier im Raum alles dafür, eine Wasserstoffwirtschaft zum Fliegen zu bringen?“
„Gott sei Dank ist die Diskussion endlich vorbei, dass suggeriert wird, Erneuerbare und Wasserstoff wären ein knappes Gut. Wie kommt irgendjemand darauf? Das gilt doch nur, wenn wir in politischen Grenzen denken.“

Margarethe Kleczar, Vice President Carbon Management und Hydrogen, Wintershall Dea AG:
„Blauer Wasserstoff muss sich nicht verstecken. In Kombination mit CCS erreicht er eine sehr gute CO2-Bilanz. Wir gehen davon aus, dass wir 98 % der Emissionen abscheiden können.“
„Ich glaube, es ist wichtig, dass wir nicht unsere Augen verschließen und alles auf eine Karte setzen, den grünen Wasserstoff, sondern uns technologieoffen zeigen und den Wettbewerb zulassen. Ich glaube, dass wir eine Versorgungssicherheit mit dem neuen Energieträger Wasserstoff nur erreichen, wenn wir eine bestimmte Brückentechnologie auch zulassen.
„Wir brauchen schnell große Mengen, und ich glaube, da spielt der erdgasbasierte Wasserstoff eine große Rolle.“

Dr. Thomas Gößmann, Vorsitzender der Geschäftsführung, Thyssengas GmbH:
„Für einen flächendeckenden Wasserstoff-Hochlauf braucht es die ausgewogene, aber zügige Weiterentwicklung des H2-Kernnetzes.“

Jörg Kubitza, Managing Director, Ørsted Germany:
„Grüner Wasserstoff ist das zentrale Element, um unsere Industrie zu dekarbonisieren und vor allem energieintensive und schwer zu elektrifizierende Sektoren klimaneutral zu machen. Nur durch zusätzliche Importe kann die deutsche Industrie die Menge an benötigtem Wasserstoff bekommen, um die Dekarbonisierung Wirklichkeit werden zu lassen.“

VIK Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft e.V.:
„Ein wichtiger und richtiger Schritt wurde mit der Öffnung der Wasserstoff-Farbenlehre gemacht. Dies ist besonders relevant für den Hochlauf von Projekten im Zusammenhang mit Carbon Capture and Utilization/Storage (CCU/S).“

Kerstin Andreae, Hauptgeschäftsführerin, BDEW:
„Moleküle sind an mancher Stelle unverzichtbar. An anderer Stelle können sie zur Resilienz des gesamten Energiesystems beitragen. Das bedeutet, dass wir alle Stufen gleichzeitig denken müssen: die heimische Erzeugung sowie den Import von Wasserstoff. Die (vorhandenen) Infrastrukturen müssen umgerüstet, aber auch neu gebaut und manchmal auch stillgelegt werden.“
„Ich würde niemals die deutsche Ingenieurskunst unterschätzen. Im Grundsatz ist dieses Land unglaublich handlungsfähig. Wir haben es immer wieder geschafft, uns aus Krisen heraus zu entwickeln.“

Holger Schönemann, Geschäftsführer, Stadtwerke Norderney GmbH:
„Insgesamt werde ich das Gefühl nicht los, dass wir außer einigen Pilotprojekten in der Wasserstoffwirtschaft für die breite Masse der Unternehmen/Kunden nicht vorangekommen sind.“

Für 2024 sind Neuerungen geplant

WasserstoffbrancheDr. Peter Rügge (Bild), Geschäftsführer der beyondgas AG & Co. KG und Macher des beyondgas-Kongresses, freut sich, dass die zweite Auflage der Veranstaltung in jeder Hinsicht erfolgreich verlief und das Thema Wasserstoff immer mehr Menschen elektrisiert. Gemäß dem Motto „nach dem Kongress ist vor dem Kongress“ blickt Rügge aber auch schon in die Zukunft: „Unsere Planungen für den Jahreskongress beyondgas2024 haben schon begonnen, und es wird Neuerungen geben. Zum einen werden wir künftig den ersten Kongresstag nutzen, um technische Themen und Prozesse der Netz- und Speicherbetreiber eingehender zu beleuchten. Zum anderen schafft dies Raum an den beiden anderen Kongresstagen für Schwerpunkte wie beispielsweise Importe und Erzeugung oder Vertrieb. Darüber hinaus werden wir einen eintägigen Kongress, den wir bydSPECIAL nennen, in jedem Frühjahr als Vorlaufveranstaltung zum Jahreskongress durchführen. Damit wollen wir unseren Partnern einen durchgängigeren Raum zur Positionierung geben. Das Special findet in Köln statt, der Jahreskongress weiterhin in Oldenburg.“

Autor: Gerhard Großjohann

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www.beyondgas.de

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