Unter den Erneuerbaren Energien ermögliche nur Photovoltaik kurzfristig den Zubau von Erzeugungskapazitäten im größeren Umfang
Bonner Marktforscher warnen vor einer Strom-Erzeugungslücke als Folge des Atom- und Kohleausstiegs, eines wachsenden Strombedarf durch mehr E-Autos und einem zu geringen Zubau Erneuerbarer Energien. Eine Verdreifachung des Photovoltaikbestands bis 2030 und deutlich mehr Speicher könnten die Stromlücke füllen und die Energieversorgung klimafreundlich sichern. Das Klimakabinett müsse am 20.9.2019 die Weichen für einen starken EE-Ausbau stellen und Marktbarrieren schnell beseitigen.
Bereits in wenigen Jahren droht eine „Stromlücke“ infolge des geplanten Atom- und Kohleausstiegs und eines wachsenden Strombedarfs infolge einer stärkeren Elektrifizierung des Mobilitäts- und Wärmesektors, warnen Marktforscher. Nur wenn die Photovoltaik bereits ab 2020 deutlich stärker ausgebaut und von ausreichend Speicherkapazitäten flankiert wird, werden Versorgungssicherheit und Klimaschutz gleichermaßen gewährleistet. Dies geht aus ersten Ergebnissen einer Studie des Markt- und Wirtschaftsforschungsunternehmens EuPD Research hervor. Im Bereich Erneuerbarer Energien steht mit Ausnahme der Photovoltaik keine Technologie zur Verfügung, die kurzfristig in größerer Menge zugebaut werden kann. Hürden langjähriger Genehmigungs- und Netzanschlussverfahren wie im Windbereich bestehen für Solaranlagen in der Regel nicht.
Stromlücke droht: Sinkende Stromerzeugungskapazität trifft auf steigenden Strombedarf
Mit der Abschaltung der letzten aktiven Atomkraftwerke und dem beschlossenen Kohleausstieg muss bereits mittelfristig die Hälfte der heutigen Erzeugungskapazitäten im Strommarkt ersetzt werden. Ein massiver Rückgang in der Stromerzeugung wird nach Berechnungen der Gutachter auf einen wachsenden Strombedarf in Deutschland treffen. Trotz einer Steigerung der Energieeffizienz werde dieser in Folge einer zunehmenden Elektrifizierung des Mobilitäts- und Wärmesektors sowie des Einsatzes von Wasserstoff bzw. synthetischem Gas im Rahmen von Power-to-X-Lösungen deutlich anziehen.
Anhand der Analyse verschiedener Szenarien kommt das Gutachten der Bonner Marktforscher „Energiewende im Kontext von Atom- und Kohleausstieg – Perspektiven im Strommarkt bis 2040“ zu dem Ergebnis, dass mit einer Verdreifachung der PV-Leistung bis 2030 die sich abzeichnende Stromlücke geschlossen werden könnte. Dies erfordert für das Jahr 2030 eine installierte PV-Leistung in Höhe von 162 Gigawatt (GW). Gegenwärtig sind rund 1,7 Millionen Solarstromanlagen mit einer Spitzenleistung von rund 48 GW in Deutschland installiert, die rund acht Prozent des Stromverbrauchs decken. Eine gute Marktverfügbarkeit, niedrigste Stromgestehungskosten im Kraftwerksbereich, sehr hohe Akzeptanzwerte in der Bevölkerung und eine vergleichsweise kurze Installationsdauer ermöglichen einen deutlich schnelleren Ausbau der Photovoltaik.
Kapazität der Kurzfristspeicher muss sich bis 2040 mindestens verdreißigfachen
Der Ausgleich der fluktuierenden solaren Stromerzeugung bedingt eine deutliche Erhöhung der Speicherkapazitäten zum kurzfristigen und saisonalen Ausgleich. Die Kapazität der Kurzfristspeicher muss sich den Berechnungen zufolge bis 2040 mindestens verdreißigfachen. Für die saisonale Stromspeicherung besteht die Herausforderung, Elektrolysekapazitäten im zweistelligen Gigawatt-Maßstab aufzubauen.
„Klimakrise oder Stromlücke? Diese Frage stellt sich nicht, wenn Marktbarrieren für die Solarenergie eingerissen und die Ausbauziele für die Photovoltaik schnell angehoben werden. Dann kann der Solarenergie-Ausbau mit dem Atom- und Kohleausstieg Schritt halten und gemeinsam mit anderen Erneuerbaren Energien sowie deutlich größeren Speicherkapazitäten die Versorgungssicherheit klimafreundlich sicherstellen“, zeigt sich Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Solarwirtschaft e.V. (BSW) überzeugt. Er appelliert an die Bundesregierung, am 20. September im Rahmen des Klimakabinetts entsprechende Beschlüsse zu fassen und endlich auch den 52 GW-Solardach-Deckel im EEG ersatzlos zu streichen. Dieser würde sonst im kommenden Jahr erreicht.
Erst Anfang September hatten die vierzehn im Forschungsverbund Erneuerbare Energien zusammengeschlossenen deutschen Forschungsinstitute gegenüber Politik und Öffentlichkeit darauf gedrungen, den PV-Ausbau deutlich zu beschleunigen, und darauf hingewiesen, dass der aus dem Jahr 2012 stammende Förderdeckel den deutschen Klimaschutzzielen diametral entgegen laufe und schnell beseitigt werden müsse, um einen deutlichen Markteinbruch bei der Solarenergie zu verhindern.
In Deutschland ist die Sättingungsquote bei Photovoltaik noch gering
„Unsere Studie liefert den Beleg, dass die Photovoltaik die zentrale Rolle als erneuerbare Energiequelle im Rahmen der Energiewende in Deutschland innehat. Photovoltaik ist technologisch weit entwickelt, im Massenmarkt verfügbar und kosteneffizient einsetzbar, wie die Ausschreibungsergebnisse der vergangenen Jahre eindrucksvoll aufzeigen. Als einer der ältesten Solarmärkte weltweit verfügt Deutschland über umfangreiche Erfahrungen sowohl beim Handwerk als auch bei Anwendern und weist dennoch erst eine geringe Sättigungsquote auf“, beschreibt Markus Hoehner, Gründer und Geschäftsführer von EuPD Research, die zukünftige Rolle der Photovoltaik.
„Wir sind mitten in einem umfassenden Wandel der Energiesysteme. Dieser Transformationsprozess braucht dringend verlässliche und klare politische Rahmenbedingungen – nur dann entstehen für Industrie, Handwerk und Gewerbe neue Wachstumsmöglichkeiten und zukunftsfähige Geschäftsmodelle“, ergänzt Markus Elsässer, Geschäftsführer der Solar Promotion GmbH und Initiator der wichtigsten Innovationsplattform für die neue Energiewelt The smarter E Europe.
Hintergrund:
Die Studie „Energiewende im Kontext von Atom- und Kohleausstieg – Perspektiven im Strommarkt bis 2040“ von EuPD Research nimmt die aktuellen energiepolitischen Entwicklungen zum Anlass, ein realistisches Zukunftsbild des deutschen Strommarktes zu entwerfen. Neben der Modellierung des deutschen Strommarktes werden volkwirtschaftliche Dimensionen des Umbaus sowie die Auswirkungen auf den Strompreis untersucht. Als Darstellungsebene fungieren Lastgänge und Erzeugungsprofile auf 15-Minuten-Basis. Der Modellansatz folgt dem sogenannten Zieldreieck der Energiepolitik aus Umweltverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit.
Insgesamt wird von 530 TWh in 2018 ausgehend eine Zunahme des Nettostromverbrauches um gut ein Fünftel auf 657 TWh in 2030 erwartet. Dem steht ein Rückgang im konventionellen Kraftwerkspark als Folge des Atomausstiegs sowie der beabsichtigten Stilllegung der Braun- und Steinkohlekraftwerke gegenüber. Die Berechnungen der Studie von EuPD Research zeigen, dass bereits ab 2020 ein deutlich höherer Ausbaupfad an Photovoltaik realisiert werden muss, um den steigenden Strombedarf zu decken. Bereits im Jahr 2022 entsteht eine Erzeugungslücke, die auf 70 TWh im Jahr 2030 anwächst.
Im Szenario-Vvergleich kann mit einem deutlich höheren Zubaupfad an Photovoltaik, der einer Verdreifachung der bis dato installierten Leistung bis 2030 entspricht, die sich abzeichnende Stromlücke deutlich verringert bzw. mittelfristig geschlossen werden. Dies bedeutet für das Jahr 2030 eine installierte Leistung von 162 GW Photovoltaikleistung am Standort Deutschland.
Der BSW, die Innovationsplattform The smarter E Europe und EuPD Research sind Initiatoren dieser Studie. Aktuelle Unterstützer des Projektes sind Baywa r.e., E3/DC, GOLDBECK Solar, IBC Solar, Fronius, Panasonic, Siemens, Sharp, sonnen, Suntech, TESVOLT, und VARTA.
Vorabversion der Studie (Kurzfassung): https://bsw.li/32zABSl – Die kompletten Studienergebnisse sind ab Ende September über die Webseiten der Initiatoren frei verfügbar.
Bundesverband Solarwirtschaft e.V.
www.solarwirtschaft.de