Verhaltene Aufbruchsstimmung in der Metering-Branche
Von Gerhard Großjohann
Ausverkauft! 810 Teilnehmende und 70 Aussteller – die metering days 2023 des >ZVEI stießen in Fulda räumlich an die Grenzen des Wachstums. Wiedersehensfreude in der Community und Diskussionslust prägten das Klima in der Esperanto-Halle. Eine in jeder Hinsicht perfekte Organisation der ZVEI-Akademie schuf den Wohlfühlrahmen für das traditionelle und beliebte Branchen-Klassentreffen. Vor allem jedoch boten die metering days mit insgesamt über 50 Keynotes, Vorträgen und Dískussionsrunden einmal mehr ein umfassendes Branchen-Update. Die Stimmung bei den Teilnehmenden war …
… ja, wie eigentlich? Allenthalben hatte es im Vorfeld der Kongressmesse geheißen, das neue Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende (GNDEW) habe Aufbruchsstimmung in der Branche erzeugt. Doch davon war in Fulda nicht viel zu spüren. „Wir sind noch am Anfang des Hochlaufs“, konstatierte etwa Dr. Malte Sunderkötter, Sprecher der Geschäftsführung bei E.ON Grid Solutions, in seiner Keynote. „Wir haben alle gemeinsam die weiteste Wegstrecke noch vor uns und noch zurückzulegen.“ Allenfalls die vier etablierten Hersteller von Smart Meter Gateways dürfen nach langer Durststrecke frohlocken, weil der Rollout intelligenter Messsysteme (iMSyS) nun tatsächlich beginnt, Schwung aufzunehmen, und sie vermehrt Geräte verkaufen können. (>separater Bericht). Bekanntlich sollen bis 2030 mindestens 20 Mio. Smart Meter Gateways (SMGW) in Deutschland verbaut werden.
Bei den Messstellenbetreibern kommt noch keine Freude auf
Die Akteure allerdings, denen Einbau und Betrieb der smarten Geräte obliegt, verspüren bislang noch keine rechte Freude. Viele technische Hürden stehen dem iMSys-Hochlauf nach wie vor im Weg, nicht zuletzt und allen voran Konnektivitätsprobleme auf der vielerorts noch alternativlosen LTE-basierten WAN-Kommunikationsstrecke. Mehr und mehr als Hemmschuh entpuppen sich die vom Gesetzgeber festgelegten Preisobergrenzen (POG) für iMSys-Einbau und -Betrieb. Die der POG zugrundeliegende Kosten-Nutzen-Analyse datiert aus dem Jahr 2013. Inzwischen haben sich aber nicht nur die Kostenparameter, sondern auch der Umfang der innerhalb der POG subsummierten Leistungen – siehe Sichere Lieferkette (SiLke) und andere Anforderungen – verändert. Die deutlichste Kritik hierzu kam aus dem Südwesten der Republik. Arkadius Jarek, Leiter MSB bei der Netze BW GmbH, sagte: „Wir sehen, dass es trotz Effizienzmaßnahmen mit den heutigen Preisobergrenzen – und ich rede nur von den Standardleistungen – nicht möglich ist, den Messstellenbetrieb wirtschaftlich abzubilden. Mit zunehmenden Stückzahlen geht die Wirtschaftlichkeit weiter in die Knie. Wir brauchen eine echte Kostenbetrachtung.“
Business as usual bei den regelgebenden Instanzen
Der Chronist hatte in Fulda auch 2023 sein Déja-Vu-Erlebnis. Die Branche benötigt kurzfristig Unterstützung, damit sie ihren fundamental wichtigen Beitrag zum Gelingen der Energiewende leisten kann: siehe aktuell POG, Anforderungen an §14a EnWG usw. Doch die Mühlen der regelgebenden Instanzen mahlen ungerührt gemächlich weiter. Die Situation im Markt wird von Wirtschaft und Behörden konträr wahrgenommen und bewertet. Ein Beispiel dafür ist Adrian Loets, Referent Digitalisierung der Energiewende im Bundesministerium für Wirtschaft und KIimaschutz (BMWK). Auf der Podiumsdiskussion sagte er u.a.: „Das Gesetz ist erst ein halbes Jahr in Kraft. Wir sehen sehr positive Tendenzen im Markt. Das ist Grund für Optimismus und dafür, dass die Aufbruchsstimmung durch das GNDEW weiterhin da ist.“
Der Rüffel von Dr. Christoph Müller (Bild), Vorsitzender der Geschäftsführung der Netze BW GmbH, folgte auf dem Fuße: „Der Aufbruch war 2013. Wir müssen dankbar sein, dass es so viele Kolleginnen und Kollegen gibt, die die Aufbruchstimmung über zehn Jahre gehalten haben. Ich würde mir wirklich wünschen, dass man deren Anliegen um Vereinfachung bei SiLke oder bei der Preisobergrenze tatsächlich ernst nimmt und aufgreift. Denn lange werden wir diese Aufbruchsstimmung nicht mehr halten können.“ Woraufhin Adrian Loets erwiderte: „Wir leisten hier seit vielen Jahren wirklich Pionierarbeit.“ Netze BW-Chef Müller hatte schon in seiner Key-Note „überbordende Regulierung“ und „regulatorisches Versagen“ angeprangert.
Technikanbieter brauchen weiterhin einen langen Atem
Anke Hüneburg, Bereichsleiterin Energie beim ZVEI, wies in der Podiumsdiskussion auf ein anderes wiederkehrendes Dilemma hin: „Die Unternehmen, die mit den Technologien unterwegs sind, sind großenteils Mittelständler. Da habe ich mir mitunter Sorgen gemacht, weil ja sehr viel in Vorleistung gegangen wurde, ohne dass Stückzahlen absehbar waren, um diese Vorleistungen zu refinanzieren.“ Hüneburg warnte vor einem neuen Attentismus durch das Warten auf eine neue POG.
Und tatsächlich: Geschichte wiederholt sich. Die Hersteller von Steuerboxen stehen aktuell vor der gleichen Situation, wie einst die SMGW-Anbieter: Die Geräte sind einsatzbereit, doch der rechtliche und prozessuale Rahmen ist noch unvollständig bzw. lässt auf sich warten. Hinzu kommen die bereits erwähnten Refinanzierungsprobleme wegen der POG sowie der Umstand, dass die Regulierung nach wie vor den Netzausbau belohnt und weniger die Digitalisierung. Also werden Steuerboxen bislang allenfalls für Test- und Demo-Zwecke benötigt. Den Akteuren bleibt nichts anderes übrig, als sich in Durchhalteparolen und Zweckoptimismus zu üben.
Das Thema Schalten und Steuern hat nun Prio 1
Ungeachtet dessen ist das digitale, ereignisorientierte Schaltern und Steuern von PV-Anlagen, Wallboxen, Wärmepumpen und Stromspeichern eine Baustelle, auf der durch den rapiden Hochlauf auch im Netz wachsender Handlungsdruck entsteht, weil der Netzausbau nicht in dem Tempo folgen kann. Jochen Rüdenauer vom Steuerbox-Hersteller LMS Services konstatierte: „Nachdem wir uns in den letzten mindestens zehn Jahren einzig mit dem Thema Metering beschäftigt haben, wird spätestens mit den metering days 2023 klar, dass der Fokus in den nächsten Jahren auf dem Thema Schalten über das Gateway und die Steuerbox liegen wird.“ Und weiter mahnend: „Es wird wichtig sein, den Weg mit pragmatischen Lösungen zu unterfüttern.“
Mehr Digitalisierung im Endkundenbereich
Erstaunlicherweise ist die Aufbruchsstimmung in der Branche trotz den aktuellen Haupt-Show-Stoppern SilKe und POG zumindest latent weiterhin spürbar. Stephan Rödiger, Projektleiter 450 MHz-Feldtest bei der Westnetz GmbH, empfahl: „Die Erfahrungen jetzt sammeln, weniger jammern und einfach mal vorausgehen.“ Das gilt sicherlich auch im Kontext anderer Themen rund um das Smart Metering. Die Notwendigkeit für ein schnelleres Vorankommen sieht Dr. Christoph Müller (Netze BW) allerdings weniger im netzdienlichen Steuern und Schalten, sondern vor allen in der Verbrauchssteuerung: „Wir brauchen für die Energiewende mehr Digitalisierung im Endkundenbereich. Wir brauchen mehr Erfassung des Energieverbrauchs, damit wir die Anreize setzen können, dass sich Stromnachfrage an einer volatiler werdenden Erzeugung ausrichtet.“
Ungeachtet der fortdauernden Hängepartie bei der Umsetzung des iMSys-Rollouts und Folgeprojekten herrscht in der Metering-Community weitgehend Einvernehmen darüber, dass Deutschland mit seinem sicherheitsbetonten Smart Metering-Konzept grundsätzlich auf dem richtigen Weg ist. Dennis Laupichler, Referatsleiter DI 21 – Cyber-Sicherheit für die Digitalisierung der Energiewirtschaft beim BSI, wies zurecht darauf hin, „dass die Bedrohungslage im Cyber-Raum so hoch wie nie ist, dass die Ransomware-Attacken zunehmen. Es war absolut richtig, bei der Digitalisierung diesen Weg zu gehen.“
Sascha Lobo: „Fokus auf Nutzerzentrierung und Usability legen“
Eine inspirierende Kopfwäsche verabreichte zum Schluss der bekannte Autor, Journalist und Blogger Sascha Lobo. In seinem Highlight-Vortrag dachte er unterhaltsam darüber nach, wie das iMSys aus der Box in die Herzen der Kundinnen und Kunden gelangen kann, und erläuterte, wie KI dabei helfen kann. Hier einige Kernaussagen: „KI ist die nächste Stufe der Digitalisierung.“ „Die KI-Transformation ist die größte Chance für das Metering, die Köpfe und Herzen zu erobern.“ Die Branche müsse die sozialen Medien für die Kommunikation nutzen, weil sonst negative Stimmungsmache dominierte: „Das kann früher oder später zu einem Problem für die ganze Branche werden, weil irgendwann die Gefahr besteht, dass die Impfgegner der Elektrizität die Öffentlichkeit in einer Weise prägen, die auch für euch schädlich ist, dass der Rollout zu einem Rückzugsgefecht zu werden droht, was die Öffentlichkeit angeht.“ „Die Metering-Branche sitzt auf einem Datenschatz, dessen Umfang und Qualität bisher niemand kennt. Das ist eine gigantische Chance.“ Und schließlich Lobos Kernaussage: „Die Essenz der KI-Transformation ist ein radikaler Fokus auf Nutzerzentrierung und Usability. Hier sehe ich ein enormes Potenzial.“
Persönliches Fazit: Auch wenn das Murmeltier in Fulda 2023 einmal mehr gegrüßt hat – wenn die Umstände es zulassen und ich willkommen bin, nehme ich nächstes Jahr sehr gern wieder an den metering days teil. Der nächste Termin für dieses großartige Format steht schon fest: 20. und 21. November 2024.