„Fände es hilfreich, wenn mehr regulatorischer Druck erzeugt, Transparenz zur Pflicht gemacht würde“
Die GreenPocket GmbH in Köln ist ein aufstrebender Softwarehersteller, der seinen Kunden aus Versorgungswirtschaft und Industrie verspricht, ihre Energiedaten intelligent zu machen und ihnen dadurch mehr Energieeffizienz und Prozesskontrolle zu bescheren. Doch Start-Ups und innovative Produkte haben es seit jeher schwer, in der traditionell eher konservativen Energiebranche Fuß zu fassen. Die Volten der Politik tun ein Übriges dazu, dass die Atemluft für junge Wilde permanent knapp ist. Wie hat GreenPocket trotzdem nicht nur überlebt, sondern sich im Energiemarkt als feste Größe etabliert? Energie.blog sprach mit Geschäftsführer Dr. Thomas Goette über Survival-Strategien, die aktuelle Marktsituation, Wünsche an die Politik und die Weiterentwicklung der Visualisierungssoftware.
eb: GreenPocket wird in Kürze 14 Jahre alt, ist somit kein ganz junges Start-Up mehr. Wie haben Sie es geschafft, in einem Energiemarkt zu überleben, dessen Digitalisierung lange nicht übers. Schneckentempo hinausgekommen ist?
Goette: Das nennt man wohl Resilienz. Viele Leute, inklusive meiner Person, haben kräftig in GreenPocket investiert. Jeder Tag ist ein Kampf – und das eigentlich von Anfang an. Aber wir haben ein tolles Team sehr talentierter junger Leute, das mit viel Kreativität täglich neue Lösungen entwickelt. Unser Konzept ist es, die besten jungen Kräfte zu finden. Dafür tun wir auch sehr viel. 2023 hatten wir 1.900 Bewerbungen, aus denen wir die richtigen 30 auswählten, die dann als Praktikanten, Werkstudenten oder auch in Festanstellung zu uns kamen. Viele haben bei uns ihren ersten Job. Ich musste lernen, dass es nicht unbedingt etwas mit meiner Person oder dem Arbeitsumfeld zu tun hat, wenn sie uns nach wenigen Jahren wieder verlassen. Eine hohe Fluktuation ist bei einer Tech-Firma ganz normal. Nichtsdestotrotz ist es uns mit diesen talentierten Köpfen gelungen, uns als innovativer Partner für große wie kleine Energieversorger und Unternehmenskunden zu etablieren: Denn es gibt auch solche, die bereits jetzt die Relevanz von Digitalisierung und Energieeffizienz erkannt haben. So konnten wir – auch in schwierigen Zeiten – ein stetiges Wachstum sicherstellen und unsere Position am Markt ausbauen.
„Ist das GNDEW gut für uns? Die Antwort ist eindeutig nein“
eb: Wurden die politischen Weichen durch die Ampelregierung nun in die richtige Richtung gestellt? Hat sich das Klima für Ihr Unternehmen durch das Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende (GNDEW) verbessert?
Goette: Wir waren wirklich froh, dass das GNDEW im Mai 2023 endlich rausgekommen ist. Und es ist auch besser als der vorherige Rechtsrahmen. Aber ist das GNDEW gut für uns? Die Antwort ist eindeutig nein. Weil das Thema, das wir vertreten, nämlich mit unserer Software Energietransparenz herzustellen, nicht wirklich relevant für Netzbetreiber oder grundzuständige Messstellenbetreiber ist. Der Gesetzgeber nimmt sie nicht in die Pflicht, das zu tun. Das Gesetz ist in sich unrund. Das teure Smart Meter Gateway wird ja tatsächlich eingebaut, um die Netzausbaukosten zu reduzieren. Es geht um den Neustart der Digitalisierung der Energiewende, also soll gesteuert werden. Der Netzbetreiber profitiert davon und nicht der Kunde.
eb: 2025 wird das Angebot dynamischer Tarife für alle Stromanbieter Pflicht. Dabei müssen Lieferanten Endkunden über Preise und Verbrauch informieren, idealerweise unterstützt durch intuitive Visualisierung? Kommt aus dieser Richtung Dynamik ins Geschäft?
Goette: Wir haben das erste Projekt zu dynamischen Tarifen gestartet, allerdings im Ausland. Das zweite Projekt steht aktuell in den Startlöchern. Und ich bin mir sicher, wir werden noch mehr Projekte dieses Jahr sehen. Das zeigt: Es gibt Nachfrage bei diesem Thema. Grundsätzlich herrscht aber noch eine abwartende Haltung vor. Viele sagen, ich schaue mir das mal an. Bis zur Realisierung ist es leider nach wie vor noch ein riesengroßer Schritt. Aber grundsätzlich hilft uns die Pflicht zur Einführung dynamischer Tarife, weil wir dafür Lösungen haben und liefern können.
„Digitalisierung wird nicht als Chance verstanden“
eb: Die Einführung intelligenter Messsysteme hat nach wie vor ein großes Akzeptanzproblem in der Bevölkerung. Der Rollout wird verordnet, statt dafür zu begeistern. Wäre eine tolle Visualisierung nicht ein Schlüssel, die Menschen für ihren Stromverbrauch zu sensibilisieren und damit an der Basis mehr Aufbruchsstimmung zu erzeugen?
Goette: Eigentlich ja, aber das hat der Gesetzgeber nicht verstanden. Das wurde nicht priorisiert. Das gleiche gilt auch für das Energieeffizienzgesetz, das im November 2023 herauskam. Auch das ist grundsätzlich positiv. Aber wenn Excel als Energiemanagementsystem genügt, hat man nicht wirklich etwas gewonnen. Wenn man Energietransparenz haben will, muss Deutschland dafür doch noch sehr viel tun. Als Softwareanbieter würde ich mir wünschen, dass man die Gesetze in diese Richtung noch einmal nachschärft. Sascha Lobo hat es auf den Metering Days sehr gut auf den Punkt gebracht, als er die Netzbetreiber dazu aufrief, den Fokus auf Nutzerzentrierung und Usability zu legen und die Digitalisierung als Chance zu betrachten. So wird sie aber überhaupt nicht wahrgenommen. Das Thema Visualisierung ist für fast alle Netzbetreiber und Messstellenbetreiber überflüssig. Beide Marktrollen sprechen nach wie vor davon, dass sie Anschlussnehmer haben und ihr Auftrag darin besteht, das Netz stabil zu halten. Sie sagen: Ich interessiere mich nicht für Kunden, denn ich bin ja kein Lieferant. Es gibt keine Pflicht zur Transparenz gegenüber den Endkunden.
eb: Was macht eine gute Visualisierung aus, damit Nutzer ein Aha-Erlebnis haben?
Goette: Ein gutes Produkt ist intuitiv. Die Darstellung muss sehr schnell ins Auge gehen, damit man innerhalb von Sekunden versteht, was gemeint ist. Die Software muss dialogfähig sein und einen Mehrwert bieten. Daran arbeiten wir tatsächlich permanent, und da gibt es auch noch sehr viel zu tun. Letztlich muss Visualisierung ein Ökosystem sein, das auf vielfältige Weise Nutzen erzeugt. Leider haben wir noch ein Henne-Ei-Problem. Ohne Infrastruktur in Form intelligenter Messsysteme bekommen wir keine Masse, ohne Masse keine Lizenzgebühren, und ohne Lizenzgebühren müssen wir uns bei der Entwicklung begrenzen.
eb: Was verstehen Sie in diesem Kontext unter Ökosystem?
Goette: In unserem gewerblichen Produkt, das für uns aktuell noch der deutlich größere Umsatzträger ist, arbeiten wir daran, zum Beispiel auch PV-Anlagen zu integrieren. Sowohl der Lieferant als auch der Netzbetreiber haben ein Interesse daran, einen vollständigen Überblick über die PV-Anlagen ihrer Kunden zu haben. Damit können Anwender Anlagen clustern oder Standorte miteinander vergleichen, automatisiert Auswertungen und Reports erzeugen, eine Alarmierung setzen, Daten für sich oder die Kunden als Service generieren usw. Andererseits geht es darum, unterschiedlichste Messreihen zusammenzuführen, die Welten Smart Metering und Submetering zu einem kompletten Bild zusammenzuführen, wie es die ESG-Standards verlangen. Solche Gesamtsichten – vielfach unter Einbeziehung von Produktionsdaten – werden von industriellen Kunden verstärkt angefragt. Seit 2020 arbeiten wir intensiv an der Entwicklung eines solchen umfassenden digitalen Zwillings, und es wird wohl noch ein oder zwei Jahre dauern, bis wir das Projekt abschließen.
eb: Welche Aufgaben übernehmen Sie bei klassischen iMSys-Rollout-Projekten?
Goette: Die Basisvisualisierung. Einige Unternehmen setzen auch das gewerbliche Produkt ein. Das sind Messdienstleister, die zum Beispiel auch im Stromgeschäft aktiv sind und eine performantere Lösung wünschen, nicht nur das kleine Endkundenprodukt. Hier sind wir mit verschiedenen Partnern im Multi-Mandanten-Modell unterwegs.
eb: Welche Marktposition haben Sie mit Ihren Produkten erreicht?
Goette: Insgesamt haben wir 180 Projekte mit rund 100 Kunden gemacht. In einem ganz kleinen Markt gehören wir sicherlich zu den führenden Unternehmen. Über einen ähnlich großen Erfahrungsschatz verfügt zumindest in Deutschland kein anderes Unternehmen. Wenn es um den iMSys-Rollout geht, handelt es sich um einen kleinen Nischenmarkt. Der Energiemanagement- und Submeter-Markt in der Industrie ist größer, aber auch viel fragmentierter.
„Bis jetzt haben wir noch – wenn überhaupt – matschige Feldwege“
eb: Aber jetzt entwickelt sich doch offensichtlich etwas, so dass die Wiese gemäht werden kann. Oder muss das Gras erst noch wachsen?
Goette: Was den iMSys-Rollout betrifft, sind wir nach wie vor im Jahr eins. Als wir gestartet sind, haben wir gedacht, der Rollout geht viel früher los. In Deutschland sind erst eine Million von 50 Millionen Stromzählern digital. Daran sieht man, dass sich für uns noch sehr viel entwickeln kann – wenn die Straßen dafür gebaut sind. Jetzt haben wir noch – wenn überhaupt – matschige Feldwege.
eb: Woraus Sie welche Botschaft an den Markt ableiten?
Goette: Digitalisierung erzeugt eine bessere Transparenz. Ich glaube, dass in der Visualisierung noch weitaus mehr Potenzial für Energieeffizienz steckt, als viele annehmen. Insofern fände ich es hilfreich, wenn mehr regulatorischer Druck erzeugt, wenn Transparenz zur Pflicht gemacht würde. Ja, der Gesetzgeber ist der Treiber für unser Geschäft, aber es geht nur in Zeitlupe voran. Und ja, die Projekte sind anspruchsvoll und oft schmerzhaft, aber der Nutzen ist immens. Aus vielen Projekten weiß ich, wie wichtig es ist, dass die Anwender die volle Unterstützung des Managements erhalten. Insgesamt würde ich mir mehr Geschwindigkeit wünschen, gerade auch in den Kommunen, die immer erst schauen, dass sie Fördergelder bekommen, und eine Ausschreibung machen müssen. Viele Unternehmen und Kommunen sind auf das, was sie in den nächsten Jahren erwartet, nicht vorbereitet. Da würde ich mir mehr Mut und Entschlossenheit bei der Digitalisierung wünschen.
eb: Herr Dr. Goette, vielen Dank für das Gespräch!