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Handelsblatt Energiegipfel: „Der Beginn einer neuen Ära“ für die Energiewirtschaft

Neustart der Energiewirtschaft: Auf dem Handelsblatt Energiegipfel diskutieren mit der Handelsblatt-Redaktion: Andrew Mack (Octopus Energy Germany, 2. v.l.), Leonhard Birnbaum (E.ON, 3. v.l.) und Klaus Müller (Bundesnetzagentur, 4. v.l.). (alle Bilder: Handelsblatt Energiegipfel)

Zentrale Frage beim Neustart der Energiewirtschaft: Wie gelingt es, Energiesicherheit und Klimaschutz zusammenzuführen?

Von Dr. Anke Schäfer *

„Der Beginn einer neuen Ära“ – unter diesem ambitionierten Motto stand der >Handelsblatt Energiegipfel 2023 vom 16. bis 18. Januar im bcc Berlin. Die dreitägige Konferenz ist seit vielen Jahren ein Pflichttermin für die Spitzen aus Energiewirtschaft, Industrie, Wissenschaft und Politik. Für so manche(n) ist der Aufenthalt im meist wolkenverhangenen Berlin nur ein Zwischenstopp auf dem Weg zum Weltwirtschaftsforum im malerisch verschneiten Davos. Doch der Energiegipfel ist mehr als ein lieb gewonnenes Klassentreffen. Er ist ein wichtiger Kompass für die strategische Ausrichtung, Positionsbestimmung und Weichenstellung in einem. Dieses Jahr gilt das umso mehr, denn es geht um nichts weniger als einen Neustart der Energiewirtschaft.

Sir Winston Churchill sagte einmal: „Es ist sinnlos zu sagen: Wir tun unser Bestes. Es muss Dir gelingen, das zu tun, was erforderlich ist.“ Doch wie kann man in Zeiten multipler, ineinander verschränkter Krisen den Neuanfang wagen und (vielleicht sogar mehr als) das Notwendige umsetzen? Wie können ehrliche Begeisterung, Mut, Kreativität und Innovationskraft geweckt werden, wenn es für viele leider primär um die Wahrung der wirtschaftlichen Existenz geht? Kann es gelingen, Energiesicherheit und Klimaschutz wirksam zusammenzuführen? Wie können wir unser Marktdesign verändern, ohne dabei den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt auf das Spiel zu setzen?

Die Energiewende – Eine handhabbare Quadratur des Kreises?

Für einen fulminanten Auftakt sorgte am Montag Dr. Robert Habeck, Vize-Kanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz. Kein anderer Politiker steht so sehr für die innere Zerrissenheit eines Spitzenpolitikers angesichts der großen Herausforderungen unserer Zeit. Mona Neubaur, Stellvertretende Ministerpräsidentin und Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, brachte das Dilemma der „Verantwortung für den Aufbruch in einer Stapelkrisenzeit“ auf den Punkt: „Krisenbekämpfung und Transformation müssen zusammen gedacht, zusammen ‚angepackt‘ werden“.

Alles auf Anfang in der Energiewirtschaft

Robert Habeck (Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz): „Die Energiekrise ist noch nicht vorbei, aber sie ist jetzt handhabbar.“

Das ist nicht weniger als die Quadratur des Kreises, wie die immer noch fortwährenden Kontroversen um Lützerath und der leidenschaftliche Zwischenruf von Annika Rittmann, Fridays for Future, am zweiten Veranstaltungstag zeigten: „Machen Sie diesen Ort zu einem Ort der Veränderung!“

Auch für den Grünen Habeck ist das vorübergehende Reaktivieren der Kohlekraftwerke bis 2024 „klimapolitisch eine Sünde“. Er betonte, „dass wir natürlich darauf hinarbeiten sollten, dass wir diese Sünde möglichst kurz halten“. Dafür sei jedoch eine sichere Grundlage nötig: „Die LNG-Infrastruktur sichert das Beenden der Braunkohleverstromung.“ Er wolle auf keinen Fall in einem Jahr erneut auf der Tagung sagen, dass die Laufzeiten der Kohlekraftwerke noch einmal um ein oder zwei Jahre verlängert werden müssten. „Dann haben wir zwar vielleicht die Energiekrise als Folge des russischen Angriffs in den Griff bekommen, aber energiepolitisch mit Blick auf die strukturelle Krise, die Senkung der CO2-Emissionen komplett versagt. Das darf nicht passieren“, so Habeck.

Alles auf Anfang in der Energiewirtschaft

Annika Rittmann (Fridays for Future): „Machen Sie diesen Ort zu einem Ort der Veränderung!“

Die Stabilisierungsmaßnahmen – „Eine Brücke über den Abgrund“

Er erläuterte: „Die Energiekrise ist noch nicht vorbei, aber sie ist jetzt handhabbar… All die Sorgen vor einer Kernschmelze der deutschen Industrie, die waren nicht Spökenkiekerei…Es war ein reales Szenario, und ich glaube, man darf soweit gehen zu sagen, es war Putins Plan… und es ist nicht passiert. Aber wir haben in diesem Jahr einmal in den Abgrund geguckt, und wir sind dabei, eine Brücke über den Abgrund zu bauen. Und das sollten wir nicht vergessen, wie real die Gefahr war…, aber wie schnell, wie stark eine Gesellschaft… Entscheidungen treffen kann und welchen Stolz man haben kann… Das ist vielleicht die richtige Geisteshaltung, in das Jahr 23 und in diese Konferenz hereinzugehen.“

Er sei gekommen, um das große Bild zu zeichnen und skizzierte die energie- und klimapolitische Agenda für die nächsten Jahre – das Paket sei angesichts der riesengroßen Herausforderungen „doll gefüllt“. Von den Teilnehmenden des Energiegipfels wurde insbesondere der Verstoß für einen europäischen Industriestrompreis begrüßt. Die Bundesregierung wolle zudem eine Plattform für ein zukunftsstarkes Strommarktdesign einrichten. Parallel dazu erarbeite die Europäische Kommission einen Vorschlag zur weiteren Entwicklung des Strommarktes.

Fakt ist: Ohne eine gesamteuropäische, länderübergreifende Lösung könne die Energiepreiskrise nicht gelöst werden. Den Vorschlag der spanischen Regierung für nach oben und unten begrenzte Preise für Strom aus erneuerbaren Energien fand Habeck „interessant“.

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Nadia María Calviño (Wirtschaftsministerin Spaniens): „Wir sitzen alle im selben Boot.“

Im globalen Wettbewerb sind gesamteuropäische Lösungen nötig

Auf die Notwendigkeit einer konzertierten europäischen Aktion verwies auch die spanische Wirtschaftsministerin und stellvertretende Premierministerin Nadia María Calviño. Bei der Dekarbonisierung und Einführung erneuerbarer Energien läge es im gemeinsamen Interesse, schnell voranzukommen, wobei die Energieeffizienz oberste Priorität habe: „Wir sitzen alle im selben Boot“. Der Ukrainekrieg war ein Weckruf. Zugleich müssten sich die europäischen Länder im globalen Wettbewerb stärker als Einheit verstehen, etwa im Umgang mit Bidens Inflation Reduction Act. Hier käme es darauf an, eine Win-win-Situation zu schaffen – mit gemeinsamen Vorteilen für die USA und die EU. Spanien möchte sich in Europa als Lieferant für grünen Wasserstoff positionieren, auch wenn der Weg bis dahin noch mühselig sei.

Auch Habeck ist bewusst, dass „wir an einer schnellen Dekarbonisierung gemessen werden“. Nachdem 2022 der Fokus zwangsläufig auf der Versorgungssicherheit lag, stehe nun wieder die Energiewende im Mittelpunkt. Er bekräftigte das Ziel, dass 2030 etwa 80 % der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien kommen sollen. 2023 werden bereits ca. 47 % erreicht, der Zubau gehe deutlich nach oben. Es sei zu schaffen, dennoch sei die Umsetzung „eine ähnliche Leistung, wie drei LNG-Terminals in zehn Monaten aufzubauen“.

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Klaus Müller (Päsident Bundesnetzagentur): „Diesen Winter keine Gasmangellage zu befürchten.“

Wie Habeck zeigte sich auch Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, optimistisch, dass für diesen Winter keine Gasmangellage zu befürchten ist. In einer spannenden Podiumsdiskussion mit Leonhard Birnbaum, CEO der E.ON, und Andrew Mack, CEO der Octopus Energy Germany, plädierte er gleichzeitig dafür, nicht die Fehler der Corona-Krise zu wiederholen und jetzt schon die Maßnahmen, die in diesem Winter aufgrund der Kurzfristigkeit der Entscheidungen liegen geblieben waren, engagiert und planvoll anzugehen. Die Regierung arbeite auf verschiedenen Feldern an klugen, agilen und möglichst effizienten Regularien, und jeder sei eingeladen, sich in diesen Prozess aktiv einzubringen.

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Leonhard Birnbaum (CEO bei E.ON): „Die ergriffenen Maßnahmen sind ein Signal in die richtige Richtung.“

Für die Energiewende begeistern

Birnbaum, selbst Mitglied der Unabhängigen ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme, verwies darauf, dass erst etwa 30 % der erhöhten Preise an die KundInnen durchgereicht wurden. Es gäbe daher leider noch keine Entwarnung, und Sparen sei weiterhin dringend nötig. Auch wenn er einen radikaleren Ansatz verfolge, seien die ergriffenen Maßnahmen im Vergleich zu den letzten Jahren ein „Signal in die richtige Richtung“.

Letztlich hängen Versorgungssicherheit und Energiewende an der vorhandenen Infrastruktur. Gleichzeitig müssen die KundInnen für Energieeffizienz, neue Geschäftsmodelle und smarte Messeinrichtungen begeistert werden, so Müller. Hier kommt den EVU eine Schlüsselrolle zu.

„Lasst uns an die Stelle von Zukunftsängsten das Vordenken und Vorausplanen setzen.“ Das sagte zwar auch Churchill, wäre aber ein schönes Schlusswort für drei spannende, wie immer hochprofessionell organisierte Konferenztage.

* Dr. Anke Schäfer

(Bild: privat)

– Geb. 1971 in Rostock
– PR-Beraterin, Fachjournalistin, Redakteurin, Dozentin
– Langjährige Mitarbeit in führenden Beratungsgesellschaften und Systemhäusern
– 2007 Gründung der Dr. Schäfer PR- und Strategieberatung (Fokus: Energie- und Wasserwirtschaft, ITK-Branche, Grüne Energien)
– Abschlüsse als M. A. (Anglistik/Amerikanistik und Slawistik/Russistik), Dr. phil. (Mediensprache/Rhetorik) und Diplom-Juristin

Kontakt: info@dr-schaefer-pr.de

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