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Handelsblatt Energie-Gipfel: Was Politik und Energiebranche für die Energiewende von Tom Sawyer lernen können

Energie-Gipfel
Dr. Volker Wissing, Bundesminister für Verkehr & Digitales, appellierte auf dem Handelsblatt Energie-Gipfel, dass ohne Emotionen und ohne etwas vorab zu verteufeln nach individuell passenden Lösungen für jeden gesucht werden sollte. (Bilder: Marc-Steffen Unger)

Positionsbestimmung der Energiebranche auf dem Handelsblatt Energie-Gipfel

Von Dr. Anke Schäfer *

Erinnern Sie sich noch an Tom Sawyer und die Geschichte vom Gartenzaun? Tante Polly hat ihn bestraft, an einem herrlichen Sommertag den Zaun weiß zu streichen – gut 30 Meter lang und drei Meter hoch. Ein fast unmöglicher Kraftakt für einen kleinen Jungen, bis Tom eine geniale Idee hat: Voller Begeisterung überzeugt er die anderen Kinder davon, dass all das keine Arbeit, sondern ein großes Vergnügen sei und überhaupt „nur einer unter 1.000 (vielleicht sogar 2.000)“ Jungen es so sorgfältig erledigen könne, wie Tante Polly es erwarte – noch dazu an genau dem Zaun, der nicht schnöde nach hinten, sondern als etwas ganz Besonderes direkt zur Straße hinausgeht. Am Schluss hat Tom alle Kinder dazu gebracht, freudestrahlend seine Aufgabe zu übernehmen. Der clevere Motivationskünstler genießt zufrieden seinen Erfolg, kann dazu noch einen Berg neuer privater Schätze sein Eigen nennen, und der zunächst so riesig erscheinende Zaun ist bis zum Abend sogar dreifach gestrichen.

Gesellschaftliche Akzeptanz erhöhen

Was all das mit der Energiebranche und dem diesjährigen > Handelsblatt Energie-Gipfel vom 17. bis 19. Januar 2022 in Berlin zu tun hat? Manchmal würde man sich angesichts der extrem ambitionierten und immer komplexeren Herausforderungen der Energiewende ein wenig von Toms Unbeschwertheit und mitreißendem Schwung wünschen. Oder um im Bild zu bleiben: Lange genug wurde auf energiepolitischer Ebene eher halbherzig über die Farbauswahl beim Zaunanstrich diskutiert. Nun kommt es auf eine schnelle, pragmatische und konkret messbare Umsetzung an, um beim Erreichen der Klimaziele nicht noch mehr den Anschluss zu verlieren. Das beinhaltet auch ein Mitnehmen aller gesellschaftlichen Akteure. Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des BDEW e.V., brachte es in einer der Diskussionsrunden auf den Punkt: Eine höhere Akzeptanz wird es erst dann geben, wenn die Frage der Wertschöpfung für jeden Einzelnen mehr thematisiert wird – „mit echten Incentives und einem auch monetär spürbaren Nutzen“.

Energie-Gipfel

Kerstin Andreae: Eine höhere Akzeptanz werde es erst dann geben, wenn die Frage der Wertschöpfung für jeden Einzelnen mehr thematisiert wird.

Dass die Branche vor ernsten und belastenden Bewährungsproben steht, machte die Konferenz nur allzu deutlich. Längst geht es um mehr als den vom Handelsblatt im Untertitel beschriebenen „Wettlauf um neue Energien“ – es geht um nicht mehr und nicht weniger als den klimaneutralen Umbau unseres Energie-, Wirtschafts- und Gesellschaftssystems. Dass die neue Bundesregierung dabei durchaus die richtigen Lösungsansätze verfolgt und Veränderung im Gesamtkontext denkt, wird ihr von vielen Referent*innen hoch angerechnet. Doch so manch einem wird dieser Tage angesichts dramatisch steigender Energiepreise und einer drohenden Eskalation des Ukraine-Russland-Konfliktes erst so richtig bewusst, was es tatsächlich heißt, in disruptiven Zeiten zu leben.

Dekarbonisierung darf nicht zur Deindustrialisierung führen

RWE-CEO Markus Krebber befürchtet hier sogar eine „Deindustrialisierung“ Deutschlands. Das Zielbild der Transformation sei allen klar, nun komme es auf „einen ganzheitlichen Blick, eine hohe Geschwindigkeit und großen Pragmatismus“ an. Die Energiekrise mit einer starken Kritikalität am energieintensiven Industriestandort Deutschland setze hier den Rahmen. In Anbetracht der langjährig geführten Ausstiegsdebatten „geht es jetzt ums Anschalten“, so Krebber: „Hierfür ist ein massiver Ausbau der Gaskraftwerke nötig. Die von der Bundesregierung angestrebte ‚Allianz für Transformation‘ kann hier der richtige Weg sein.“

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Markus Krebber forderte einen massiven Ausbau der Gaskraftwerke.

Strategische Investitionen in zukunftsfähige Gaskraftwerke

Dr. Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz (eine Positionsbezeichnung, die nur zu gut das enorme Spannungsfeld beschreibt, in dem sich die Ampelkoalition befindet), bezog sich in seiner aufgezeichneten Rede auf seine in ihrer Ehrlichkeit ebenso ernüchternde wie mahnende Eröffnungsbilanz am 11. Januar 2022. Die drei prioritären Baustellen sind dabei klar definiert: der beschleunigte Ausbau erneuerbarer Energien (mit erschreckendem Nachholbedarf), die kontinuierliche Überprüfung des geplanten Kohleausstiegs im Rahmen regelmäßiger Monitorings und der systematische Ausbau notwendiger Gaskraftwerkskapazitäten für die Übergangszeit. Habeck betonte, dass diese Infrastruktur auch danach noch erforderlich sei – für den konsequenten Einstieg in eine klimaneutrale Wasserstoffwirtschaft. Hier bedarf es strategischer Investitionen in eine zukunftsstarke Gaskraftwerk-Infrastruktur – aus der Privatwirtschaft entsprechend der seit 1. Januar 2022 geltenden EU-Taxonomie oder auch gezielt unterstützt durch staatliche Zuschüsse wie etwa beim LNG-Terminal in Brunsbüttel. Habeck widersprach auch deutlich der Befürchtung, dass durch die neue Klimapolitik Teile der deutschen Industrie komplett verschwinden könnten. Er unterstrich, dass von der CO2-freien Wertschöpfungskette perspektivisch alle profitieren können und es – wo dies nötig ist – im Rahmen dieser Transformation natürlich auch Hilfe geben wird. Das Ziel sei aber klar: „Wir müssen die Schnellsten, Innovativsten und Besten werden.“

Dr. Robert Habeck (rechter Bildschirm): „Wir müssen die Schnellsten, Innovativsten und Besten werden.“ Links Handelsblatt-Chefredakteur Sebastian Matthes.

Europäisch denken und pragmatisch umsetzen

Leonhard Birnbaum, Chief Regions Officer der E.ON, ging über die bloße Bestandsanalyse hinaus und beschrieb, wie dies möglich sein könne. Zunächst sprach er dabei einen Punkt an, der in unserem globalisierten Geschäftsumfeld erstaunlicherweise noch zu kurz kommt: „Wir müssen europäisch denken. Wir denken noch zu deutsch.“ Das EU-Taxonomie-Verfahren sei in diesem Zusammenhang ein „grandioses deutsches Politikversagen“ gewesen. Zugleich sei es angebracht, unbürokratisch und pragmatisch zu agieren: „80 % und schnell ist immer noch besser als 100 % und nie.“ Wir müssen weg von der „Überregulierung“, etwa bei „überzogenen Definitionsversuchen für Wasserstoff“. Darüber hinaus dürfe die Angemessenheit und Bezahlbarkeit nicht aus den Augen verloren werden. Die Dekarbonisierung dürfe nicht zur Deindustrialisierung führen. Die aktuelle Krise am Energiemarkt sei hier ein deutlicher Warnruf und die Energiewende kein Selbstläufer.

Zugleich werden die Themen Cybersecurity und Resilienz wohl die Kernherausforderungen für die besonders vulnerablen KRITIS-Infrastrukturen.

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Leonhard Birnbaum: „80 % und schnell ist immer noch besser als 100 % und nie.“

Individuelle Lösungsangebote für individuelle Mobilitätsbedürfnisse

Um Gartenzäune im übertragenen Sinne (das bekannte Not-in-my-backyard-Prinzip) ging es auch am Vortag in der Rede von Dr. Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr (noch so eine Großbaustelle der Ampelkoalition). Er sprach davon, dass wir alle „Menschen mit unterschiedlichen Mobilitätserfordernissen“ seien und es daher „für jeden ein attraktives Angebot geben müsse, das er auch als Fortschritt empfinde“. Er wünsche sich dabei „mehr Verständnis für die Bedürfnisse des anderen“ und dass wir ohne Emotionen und ohne etwas für sich genommen von Anfang an verteufeln nach „individuell passenden Lösungen für jeden“ suchen sollten. Das hieße auch, dass sich „alle selbst in der Verantwortung sehen sollten, auch sektorenübergreifend aktiv zu werden und zu prüfen, ob es ihnen möglich sei, schon heute einen größeren Beitrag zu leisten“. Für die unterschiedlichen Verkehre seien dabei auch unterschiedliche Lösungen und bei Bedarf geeignete Förderprogramme erforderlich, wobei ein starker, attraktiver ÖPNV (auch die Deutsche Bahn sei hier „sehr motiviert“) und eine gut ausgebaute Ladeinfrastruktur für einen klimaneutralen Individualverkehr von zentraler Bedeutung sei. „Wir müssen größer denken, abzuwarten ist keine Lösung mehr.“

Eine klare Absage gab es beim Tempolimit. Auch eine in der Diskussion angesprochene Veränderung des Dienstwagenprivilegs hin zu mehr Elektromobilität wird sicher in dieser Legislaturperiode über die Überprüfungsphase nicht hinausgehen. Vielmehr sei es laut Wissing wirkungsvoller, die digitale Steuerung unserer Verkehrsströme und eine intelligentere Nutzung der vorhandenen Infrastruktur auf die Agenda zu heben.

Sektorenübergreifend beschleunigte Investitionen

Und wo bleibt angesichts der anstehenden Herkulesaufgaben das Positive? Es blitzte in zahlreichen Diskussionsbeiträgen auf: Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge, Universität zu Köln und Direktor des EWI, verwies auf die enorme Investitionsbeschleunigung in allen Sektoren, die nicht zuletzt dem größeren politischen Nachdruck geschuldet ist. Neue Wachstumspotentiale ergeben sich durch den „Zubau von Windkraft- und Solaranlagen, Elektrolyseuren, Speichern (u. a. Batterien), Strom- und Wasserstoffnetzen und wasserstofffähigen Gas- (Backup-) Kraftwerken. Auch soll bei der Erzeugung von Fernwärme der Primärenergieträger Kohle weitgehend durch andere, möglichst erneuerbare Energieträger ersetzt werden.“

Die Industrie kann für mehr Energieeffizienz und eine klimaneutrale Produktion auf moderne Zukunftstechnologien umstellen, Gebäudesanierungen werden beschleunigt, und nicht nur beim Thema Verkehr und Heizung gewinnt die Vision grüner und digital vernetzter Smart Cities an Kontur und Perspektive. Eine lebendige Gründerkultur und eine breite gesellschaftliche Akzeptanz stärkt zudem den Innovations- und Technologiestandort Deutschland. Auch ist es ein großes Plus, dass die neue Bundesregierung neue Investitionsanreize und ein verändertes Verwaltungshandeln hin zu beschleunigten Verfahren und einer größeren Planungssicherheit als Notwendigkeit erkenne. Um aber tatsächlich „mehr Fortschritt zu wagen“ und dem ehrgeizigen Investitionsziel der „großen Transformation“ gerecht zu werden, müsse laut Bettzüge die „Politik den Staat als einen verlässlichen, entscheidungsstarken Partner der Wirtschaft etablieren, und dabei die anderen Politikziele nicht aus den Augen verlieren“.

Steve Jobs sagte einmal: „Innovation ist die Fähigkeit, Veränderung als Chance zu betrachten.“ Wenn der gewaltige Disruptionsprozess, in dem wir uns gegenwärtig befinden, genau diese neue Energie, Kreativität und Begeisterungsfähigkeit freisetzt, können wir fast wie bei Tom Sawyer alle Ziele und noch mehr erreichen. Der wie immer hochkarätig besetzte Handelsblatt Energie-Gipfel (erstmals wieder als hybrides Format mit Gästen vor Ort organisiert) gab hierfür wertvolle Impulse. Und wie war das doch gleich noch auf der „Wall of Ideas“ in der Veranstaltungsapp des Handelsblatts? „’Das haben wir immer schon so gemacht‘ hat den Gruppenchat verlassen.“

* Dr. Anke Schäfer

(Bild: privat)

– Geb. 1971 in Rostock
– PR-Beraterin, Fachjournalistin, Redakteurin, Dozentin
– Langjährige Mitarbeit in führenden Beratungsgesellschaften und Systemhäusern
– 2007 Gründung der Dr. Schäfer PR- und Strategieberatung (Fokus: Energie- und Wasserwirtschaft, ITK-Branche, Grüne Energien)
– Abschlüsse als M. A. (Anglistik/Amerikanistik und Slawistik/Russistik), Dr. phil. (Mediensprache/Rhetorik) und Diplom-Juristin

Kontakt: info@dr-schaefer-pr.de

Kommentar von Gerhard Radtke (GeBiCon@outlook.de)

Tom Sawyer war schon ein cleveres Bürschchen. Ich teile die Meinung in diesem Artikel.

Die Smart-Meter-Verantwortlichen aus Politik und WIrtschaft müssen endlich einmal damit aufhören, sich ständig einzureden, dass der Smart-Meter-Rollout in Deutschland ein Erfolg ist. Ich habe fast den Eindruck, die glauben das wirklich.

Wenn ich mir Entwicklungszeiten, Einbauquoten und Funktionsumfang anschaue, stelle ich ganz etwas anderes fest. Es ist eine deutlich Diskrepanz zwischen dem, was erreicht werden sollte, und dem, was erreicht worden ist. Das Gap wird immer größer und der Traum, dass irgendwann und irgendwie einmal alle Haushalte ein Smart Meter Gateway als das zentrale Kommunikationsgerät haben (wollen), ist doch schon lange geplatzt.

Kein Endkunde möchte freiwillig ein solches Gerät haben, warum auch?

Wie kann man das ändern?

Frei nach Tom Sawyer: Man muss lediglich Begehrlichkeiten wecken, besser noch überzeugende Use cases anbieten. Das ginge ganz einfach mit der mME. Dort werden alle Daten generiert und stehen der Zielgruppe, die es zu überzeugen gilt, zur Verfügung. Es ist viel einfacher als manche denken.

Details dazu habe ich mehr als genug und teile sie gerne. Ich werde wohl darüber nachdenken müssen, ob ich nicht besser eine Tom Sawyer GmbH gründe, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen.

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