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Volker Quaschning: „Mit Engagement in sozialen Medien dazu beitragen, die Gesellschaft zu verändern“

Volker Quaschning
Prof. Dr. Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin, engagiert sich auch privat für Klimaschutzei Strom, insbesondere in sozialen Medien. (Bild: Janine Escher)

„Wenn der Tanker mal gewendet hat, kann er mit Volldampf auch in die andere Richtung fahren“

Wer sich in sozialen Medien über Erneuerbare Energien informieren oder dort am Diskurs teilnehmen möchte, kommt an ihm kaum vorbei: Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin, ist im Netz gefühlt omnipräsent. Warum engagiert er sich so stark online? Welche Erfahrungen macht er? Und was bringt es in der Sache, also für die Energiewende und den Klimaschutz? energie.blog fragte nach.

e.b: Sie kommunizieren mit hoher Frequenz auf Twitter, Facebook, Youtube, Linkedin und Instagram und haben im Netz eine große Anhängerschaft. Wie kam es zu diesen Aktivitäten?

Quaschning: Schon um die Jahrtausendwende hatte ich angefangen, eine eigene Website zu basteln, einfach um auch auf dieser Plattform Informationen über erneuerbare Energien zur Verfügung zu stellen. Das Engagement im Internet hat sich sukzessive verstärkt. Es war naheliegend, es dann auch in den sozialen Medien zu probieren. Das funktionierte schnell relativ erfolgreich, was mich wiederum motiviert hat, weitere Kanäle zu testen.

„Scharmützel bringen nichts“

e.b: Wie agieren Sie in den sozialen Medien?

Quaschning: Für mich ist es wichtig, Informationen in die Öffentlichkeit zu bringen und Lösungen zu skizzieren. Und auch klarzustellen, was nicht funktioniert und wie widersprüchlich unsere Politik ist. Scharmützel, in denen es nur darum geht, den anderen runterzumachen, bringen nichts. Das Kommunizieren in den sozialen Medien ist allerdings eine Gratwanderung. Komplexe Zusammenhänge extrem prägnant und trotzdem verständlich zu kommunizieren, ist insbesondere auf einem Kanal wie Twitter mit 280 Zeichen schwierig.

e.b: Bevorzugen Sie bestimmte Plattformen?

Quaschning: Man probiert einiges aus, vieles kann man auch parallel posten. Dann sieht man im Vergleich, was am besten läuft. Twitter und Youtube sind die Kanäle, mit denen ich momentan die beste Resonanz erziele.

e.b: Wie viel Zeit investieren Sie in die Arbeit im Netz?

Quaschning: Das hängt von Ereignissen in Politik oder Weltgeschehen ab und worüber im Netz gerade gesprochen wird. Vorteilhaft ist, dass man nicht stundenlang zu grübeln braucht, was man wie sagt. Die sozialen Medien bieten die Chance, schnell aktiv zu werden und Themen abzuarbeiten. Aber klar, man muss schon einige Stunden pro Woche einkalkulieren.

e.b: Soziale Medien können zu unüberlegten Äußerungen verleiten. Wie halten sie die Balance zwischen Emotion und Argumentation.

Quaschning: Ironie und Zuspitzung gehören im Netz dazu. Und jeder Mensch formuliert wohl mal unverständlich oder missverständlich. Ich versuche aber, wie gesagt, möglichst auf der sachlichen Ebene zu bleiben, so dass ich zu meinen Aussagen stehen kann, auch wenn diese insbesondere auf Twitter sehr verkürzt sein müssen.

„Die Politik ein bisschen bewegen“

e.b: Wie reagieren Sie auf Kommentare zu Ihren Posts?

Quaschning: Unterschiedlich. Leuten, die nur stänkern, antworte ich nicht. Konkrete Frage versuche ich meist zu beantworten. Ich muss aber schauen, was leistbar ist. Auf ein Youtube-Video bekomme ich bis zu 2.000 Kommentare. Unmöglich, auf alle zu reagieren. Neulich hat Bundeswirtschaftsminister Altmeier auf einen Tweet geantwortet, der hat natürlich eine Rückantwort erhalten. Schließlich ist es Ziel meiner Social-Media-Aktivitäten, die Politik ein bisschen zu bewegen.

e.b: Erhalten Sie auch Hassmails oder erleben Bedrohungen?

Quaschning: Das kommt durchaus vor. Sprüche wie „Manche sehen die Kugel erst, wenn sie im Kopf einschlägt“ kann man schon als verkappte Morddrohung verstehen.

„Manchmal muss ich tief durchatmen“

e.b: Wie gehen Sie damit um?

Quaschning: Man muss das an sich abprallen lassen und darf es nicht persönlich nehmen. Manchmal muss ich aber schon tief durchatmen. Man will ja seine Familie nicht gefährden.

e.b: Die Zahl der im Netz aktiven Politiker, Wissenschaftler und anderer Meinungsbildner scheint überschaubar. Fühlen Sie sich als Einzelkämpfer?

Quaschning: Keineswegs. Nicht erst im Kontext der Fridays-for-Future- und Scientists-for-Future-Bewegung sind einige Kolleginnen und Kollegen sehr aktiv. Ich denke da beispielsweise an Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Maja Göpel, vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen oder Claudia Kempfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Sie alle sind in ähnlicher Weise aktiv und werden entsprechend wahrgenommen.

e.b: Was sind die wesentlichen Faktoren für viele Klicks und Follower in den sozialen Medien?

Quaschning: Ich glaube, es ist eine Kombination von mehreren Faktoren: Zunächst mal braucht man einen langen Atem. 50.000 Follower zu gewinnen, dauert nun mal eine gewisse Zeit. Dann muss man versuchen, interessant zu schreiben, Informationen aus einem speziellen Blickwinkel zu betrachten. Gelegentlich darf man auch mal zuspitzen. Wichtig ist außerdem, immer authentisch zu bleiben.

„Es wichtig, die Blase zu verlassen“

e.b: Unser Eindruck ist, dass die sozialen Medien eine Blase sind, in der sich die immer gleichen Leute bewegen? Ihre Wahrnehmung?

Quaschning: Das stimmt durchaus. Durch die Filter von Facebook, Twitter und Facebook bekommt man nur das angezeigt, was man sehen will. Ich habe einige Versuche gemacht, die Blase zu durchbrechen. Beispielsweise mit einem Video darüber, warum Klimaschutz eines der Hauptanliegen der AfD sein müsste, wenn sie ihre eigenen Thesen ernst nähmen. In dieser Partei gibt es ja eine aktive Klimaschutzleugner-Szene. Darauf sind allerdings nur einige wenige Menschen aus der Szene angesprungen. Grundsätzlich lässt sich sagen: Innerhalb der Blase erfährt man überwiegend Zustimmung. Verlässt man die Blase, ist der Wind extrem rau. Trotzdem ist es wichtig, die Blase zu verlassen. Wenn wir nicht ganz Deutschland und die gesamte Bevölkerung mitnehmen, wird das nichts mit dem Klimaschutz.

e.b: Wie sehen Sie das Kräfteverhältnis zwischen Klimaschutzbefürwortern und -leugnern in den sozialen Medien?

Quaschning: Man merkt, dass Klimaschutzleugner sich organisieren und gezielt vorgehen. Recherchiert man entsprechende Personen, gelangt man zu Websites, die dazu aufrufen, auf ausgewählten Seiten im Netz Unmut abzulassen. Diese Kräfte sind aber zahlenmäßig gar nicht so stark. Es werden Speerspitzenangriffe inszeniert, um sichtbar zu sein und Aufmerksamkeit zu erregen. Ich würde sagen, dass es eine klare Mehrheit für mehr Umwelt- und Klimaschutz im Netz gibt. Diese Menschen sind aber nicht so laut und anmaßend unterwegs.

„Kann in sozialen Medien viel bewegen“

e.b: Wie wichtig sind soziale Medien für Sie als Bühne für fachlichen Diskurs und als Sprachrohr?

Quaschning: Sehr wichtig, weil ich damit viel bewegen kann. Wenn ich ein Journal Paper schreibe, erreiche ich damit maximal 200 Fachkollegen. Artikel in einer Fachzeitschrift lesen vielleicht 500 Leute. Mit einem Fachvortrag erreiche ich auch selten mehr als 500 Menschen. Meine Youtube-Videos hingegen sehen im Einzelfall bis zu 100.000 Leute. Das ist eine Reichweite, die sonst nicht ansatzweise zu erzielen wäre.

e.b: Die entscheidende Frage: Was bringt ihr Engagement? Was ändert sich dadurch?

Quaschning: Kurzfristig relativ wenig. Kein Politiker ändert seine Agenda oder räumt Irrtümer ein, weil er einen Tweet gelesen hat. Zum Glück ist unsere Demokratie ein träger Tanker. Dadurch sind wir wenig anfällig für negative Veränderungen des Systems. Andererseits ist es auch extrem schwer, etwas ins Positive zu drehen. Man muss sehr viel Ballast auf der einen Seite abwerfen, damit der Tanker seine Richtung ändert. Deswegen ist das ein langer und mühseliger Prozess. Aber es zahlt sich aus: Vor 30 Jahren konnte man sich schwer vorstellen, aus der Kernenergie auszusteigen. Es hieß auch, dass wir mindestens bis 2100 Kohlekraftwerke betreiben werden, das gehe nicht anders. Ich glaube, das gesellschaftliche Eingreifen von vielen Akteuren – nicht nur Wissenschaftler, sondern auch anderer Gruppen – haben unser Land schon stark verändert.

„Wir haben in den nächsten fünf Jahren gute Chancen“

e.b: Aber offenbar noch nicht stark genug?

Quaschning: Es reicht in der Tat vorne und hinten noch nicht – doch es gibt Veränderungen! Daran gilt es weiter zu arbeiten. Wenn der Tanker mal gewendet hat, kann er mit Volldampf auch in die andere Richtung fahren. Dazu haben wir in den nächsten fünf Jahren gute Chancen. Im Klimaschutzbereich ist eine Allianz entstanden, mit einer jungen Klimaschutzbewegung, die sehr eng mit Wissenschaftlern zusammenarbeitet. Auch Scientists for Future sind nicht einzelne Akteure, sondern eine sehr gut vernetzte Gemeinschaft. Deshalb glaube ich, dass wir mit unserer Präsenz im Internet maßgeblich dazu beitragen können, unsere Gesellschaft positiv zu verändern.

e.b: Herr Prof. Dr. Quaschning, vielen Dank für das Gespräch!

www.volker-quaschning.de

Jan Böhmermann über Twitter
> Aus dem Interview in der Süddeutschen Zeitung vom 5./6. September 2020

„Es stimmt, dass nur schätzungsweise fünf Prozent der Deutschen es regelmäßig nutzen, aber es sind die fünf Prozent, die das Sagen haben oder es gerne hätten. Es ist ein begrenzter Kreis aus Menschen in leitenden Funktionen, Multipliktoren, Vorständen, die in diesem Medium ihre Positionen austauschen. Und deswegen kann auf oder durch Twitter tatsächlich etwas in Bewegung gesetzt werden, das in der Welt spürbare Auswirkungen hat.“

„Für mich ist es die erste Quelle und eine riesige Rechercheplattform. Es lassen sich dort Tendenzen erkennen, anhand derer man Vorausagen für die Zukunft treffen kann. Ob ein Meteroit einschlägt natürlich nicht. Aber was einflussreiche Leute denken oder demnächst entscheiden. Dazu kommt, dass Leute, die sich auf dieser Plattform exponieren, oft mit großem Ehrgeiz ausgestattet sind. So hatten viele, die mir auf Twitter begegnet sind, ein paar Jahre später irgendwo eine wichtige Funktion inne.“

„Ich kann es ja auch nicht ändern, dass das Internet die Wirklichkeit ist. Ich wünschte, es wäre nicht so, dass Twitter eine Macht hat und ist. Aber es ist nun mal so. Sich dem zu verschließen ist Kapitulation vor der Realität.“

„Es ist ein Überschriftenmdium. Da treffen zusammengefasste Positionen aus Schützengräben aufeinander. Es ist nicht das Medium, in dem du mit diplomatischem Bemühen Konsens findest…prinzipiell geht es dort um den Austausch von Positionen, nicht um das Finden einer gemeinsamen Position.“

„Man darf Twitter nicht mit der echten Welt verwechseln, muss sich aber der Wechselwirkungen bewusst sein. Twitter …. ist auch der Ort, wo Minderheitspositionen laut artikuliert und in den Diskurs eingebracht werden können. Diese Positionen bekommen durch Twitter ein Forum.“

„Wir müssen Twitter als Realität akzeptieren wie das Telefon oder das Kino und damit umgehen, statt darauf zu beharren, dass das nicht relevant ist oder nicht stattfindet, wenn man nur wegsieht.“

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