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Stromversorgung: Deutschland steht vor Belastungsprobe

Stromversorgung
Eine McKinsey-Studie analysiert mögliche Maßnahmen für eine bezahlbare und nachhaltige Stromversorgung bis 2025. (Bild: Pixabay/Alexandra Koch)

Strompreissenkung auf wettbewerbsfähiges Niveau bis 2025 machbar

Zu diesem Ergebnis kommt die Studie „Zukunftspfad Stromversorgung“, die die Unternehmensberatung McKinsey kürzlich vorgestellt hat. Welche Maßnahmen eine bezahlbare und nachhaltige Stromversorgung bis 2025 ermöglichen könnten.

Bis 2025 ist ein massiv beschleunigter Ausbau der erneuerbaren Energien notwendig. Nur so lässt sich das Ziel einer sicheren, bezahlbaren und nachhaltigen Stromversorgung für Deutschland erreichen, Gleichzeitig gilt es, die Kapazitäten für die Verstromung von Erdgas deutlich zu erweitern; diese können später auf Biogas und grünen Wasserstoff als Brennstoffe umgestellt werden.

Gas wird als stabile und vergleichsweise emissionsarme Ergänzung noch für mehr als zehn Jahre ein wesentlicher Bestandteil des deutschen Energiesystems sein. Denn der Energiebedarf steigt und der Ausbau erneuerbarer und konventioneller Erzeugungskapazitäten und Netze läuft noch nicht schnell genug.

Parallel ist es für die akute Versorgungssicherheit notwendig, die ursprünglich bis 2025 zur Abschaltung vorgesehenen Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von 10 GW weiterzubetreiben. Und zwar so lange bis diese auf emissionsarme, wasserstofffähige Gaskraftwerke umgestellt sind, trotz der kurzfristig negativen Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit.

Dies sind die Ergebnisse der Studie „Zukunftspfad Stromversorgung – Auf dem Weg zu einer sicheren, bezahlbaren und nachhaltigen Stromversorgung für Deutschland bis 2025″, die die Unternehmensberatung McKinsey & Company im Dezember 2022 vorgestellt hat.

Reduktion des Gaspreises entscheidend für die Stromversorgung

„Die Großhandels-Strompreise sind 2022 um den Faktor 7 gestiegen, die Endkundenpreise haben sich im Jahresmittel verdoppelt. Das gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Auf Dauer lässt sich der Preisunterschied zu anderen Industrienationen durch Subventionen nicht ausgleichen“, sagt Alexander Weiss, Senior Partner von McKinsey und Leiter weltweite Energieberatung.

In dem Report wurden daher Pfade untersucht, die die Strompreise in Deutschland bis 2025 mindestens auf das Niveau vergleichbarer Industrienationen bringen könnten und zugleich die Versorgungssicherheit sowie das Einhalten der für 2030 formulierten CO2-Emissionsziele ermöglichen.

Der massive Ausbau der erneuerbaren Energie sowie die Kapazitätserweiterung für Erdgas und der Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken zusammen würden 2025 nach Berechnungen von McKinsey noch immer zu einem Großhandels-Strompreis von 120 EUR/MWh führen. Das ist das Dreifache des historischen Mittels.

Signifikante Reduzierung des Erdgaspreises notwendig

Um langfristig wieder ein wettbewerbsfähiges Preisniveau zu erreichen, ist daher eine signifikante Reduzierung des Erdgaspreises notwendig, da nach dem Prinzip der Merit Order die Verstromung von Erdgas in vielen Stunden preissetzend für den Gesamtmarkt ist. Weiss: „Erdgasproduzenten brauchen jedoch Abnehmer, die sich langfristig vertraglich binden, um ihre hohen Investitionen sicher finanzieren und den Preis signifikant senken zu können.“

Deutschland und seine europäischen Partner sollten darum auch den Abschluss von langfristigen Abnahmeverträgen in ausreichendem Umfang erwägen. Bei einer signifikanten Senkung des Gaspreises auf den prognostizierten LNG-Preis von 28 EUR/MWh im Jahr 2025 könnte der Strompreis auf bis zu 75 EUR/MWh fallen.

„Sinkende Erdgaskosten sind der entscheidende Schlüssel, um auch die CO2-Emissionen der Stromerzeugung zu reduzieren. Wenn die Erdgaskosten hoch bleiben, könnte zu viel Kohle zum Einsatz kommen“, so Weiss.

Eine Verlängerung der Kernkraftwerk-Laufzeiten über April 2023 hinaus könnte in den Szenarien für 2025 den Großhandels-Strompreis zusätzlich um 5 bis 15 EUR/MWh senken. „Einzelmaßnahmen werden voraussichtlich nicht ausreichen, um die Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit und Versorgungssicherheit in Einklang zu bringen – ein Gesamtpaket und eine konzertierte Aktion aller Akteure ist notwendig“, so Weiss.

Erfolgsfaktoren für eine bezahlbare und nachhaltige Stromversorgung

Das beschriebene Maßnahmenpaket erfordert nach den Berechnungen von McKinsey weit mehr als eine Anpassung der Ausbauziele oder Laufzeiten. Ein Ausbau erneuerbarer Energien in derartigem Ausmaß erfordert eine Koordination über die Wertschöpfungskette hinweg. Das Spektrum zu koordinierender Tätigkeiten reicht dabei von Flächenumwandlung und Genehmigungsprozessen über ein Aufrüsten der industriellen Produktion erneuerbarer Energien bis hin zur Sicherstellung ausreichender Planungs- und Baukapazitäten.

Um die ehrgeizigen Ausbauziele für Solar- und Windenergie umzusetzen, müssen bis 2025 44 GW Photovoltaik- und 25 GW Windanlagen-Kapazität zugebaut werden, bis 2040 sogar mehr als 300 GW Photovoltaik und mehr als 100 GW Windanlagen-Kapazität.

Den Prozess für Windkraftanlagen an Land beschleunigen

Im Durchschnitt dauert ein Wind-an-Land-Projekt in Deutschland sieben Jahre vom Start bis zur Stromproduktion. Im Vergleich zu den Bestwerten von 4,5 Jahren in Spitzenausbauzeiten (2013) hat sich die Projektlaufzeit somit deutlich verlängert.

Dies ist auch in der Projektpipeline spürbar. Momentan befinden sich über 8 GW Windanlagen an Land in verschiedenen Stadien der Planung. 2021 wurden z.B. von 4,5 GW geplantem Ausschreibungsvolumen nur Zuschläge für 3,3 GW erteilt. Über ein Drittel der Projekte werden sogar ganz abgelehnt, meist weil sich im Laufe des Genehmigungsprozesses Regulierungen geändert haben.

Gelänge es, den gesamten Prozess von sieben auf rund vier Jahre zu beschleunigen, könnten Projekte im Umfang von ca. 3 GW, die unter jetzigen Bedingungen in den Jahren 2026 bis 2028 fertiggestellt würden, bereits bis zum Jahr 2025 ans Netz gehen.

Ausbau der PV-Anlagen muss beschleunigt werden

Die vergleichsweise kurze Umsetzungsdauer – durchschnittlich nur drei Jahre für Freiflächenanlagen – macht Photovoltaik attraktiv für einen schnellen Kapazitätsausbau. Bis 2025 liegt das größte Potenzial bei einem erhöhten Ausbau freistehender Photovoltaikanlagen und Photovoltaikanlagen auf Dächern. Langfristig, also über 2025 hinaus, könnten zunehmend auch Zweinutzungsflächen wie Äcker vielversprechend sein.

In Deutschland sind ausreichend Flächen für den Photovoltaikausbau vorhanden. 14.400 Quadratkilometer Freifläche haben insgesamt ca. 860 GW Potenzial. Zusätzlich sind, konservativ geschätzt, etwa 900 Quadratkilometer Dachflächen in Deutschland für Photovoltaikanlagen geeignet und haben ein Gesamtpotenzial von rund 130 GW.

Das Potenzial der Frei- und Dachflächen ist somit ausreichend für die im Osterpaket formulierten Ausbauambitionen von weiteren 44 GW auf insgesamt 108 GW Photovoltaikanlagen in Deutschland. Entsprechend sollte der Fokus auf Maßnahmen liegen, die den Ausbau auf diesen Flächen beschleunigen.

Baubeginn für Windkraftanlagen auf See vorziehen

Aufgrund der langen Umsetzungsdauer von Windkraftanlagen auf See stellen diese für einen beschleunigten Ausbau bis 2025 nur begrenztes Potenzial dar. Derzeit in Entwicklung sind sechs Windparks mit geplanter Inbetriebnahme bis 2025 und einer Gesamtkapazität von 2,8 GW. Für drei weitere Windparks ist momentan eine Inbetriebnahme Anfang 2026 geplant. Bei vorgezogenem Baubeginn, in einem der drei Fälle mit beschleunigtem Netzanschluss, könnte eine Fertigstellung schon 2025 möglich sein. Das würde eine zusätzliche Kapazität von knapp 1 GW im Jahr 2025 ermöglichen.

Weitere Anlagen mit einer Gesamtkapazität von 1 GW sind in Planung und werden voraussichtlich Ende 2026/Anfang 2027 fertig. Diese haben dann allerdings noch keinen Netzanschluss, somit ist eine Beschleunigung auf 2025 unwahrscheinlich.

Verfügbarkeit von Kohlekraftwerke ist zurückgegangen

Wegen sinkender Auslastung und der geringen erzielbaren Margen standen Kohlekraftwerke in den vergangenen Jahren unter einem hohen Kostendruck. Hinzu kommt, dass vor dem Hintergrund der Kohleausstiegsplanung die Instandhaltungsaufwendungen für Kohlekraftwerke deutlich reduziert wurden. Dies zeigt sich in einer erhöhten Rate von ungeplanten Kraftwerksausfällen. Insbesondere für viele ältere Kohlekraftwerke betrug diese im Jahr 2021 mehr als 15-20 % gegenüber einem Industrie-Bestwert von 5 %.

Nimmt man geplante Wartungszyklen hinzu, ist die Verfügbarkeit der Kohlekraftwerke in Deutschland im vergangenen Jahrzehnt von rund 90 auf 80 % zurückgegangen.

Bei PV-Modulen ist Deutschland zu 95% von China abhängig

„Voraussetzung für die ambitionierten Ausbauziele sind Lieferketten, die sowohl skalierbar als auch resilient sind – also hinreichend unabhängig von einzelnen Ländern“, so Weiss. Bei der Photovoltaik gilt es, in Europa eine größere Unabhängigkeit von anderen Ländern zu erreichen.

Deutschland bezog im Jahr 2021 55 % des Erdgases aus Russland. Aktuell bezieht Deutschland 95 % der Solarzellen direkt oder indirekt aus China. Der Wiederaufbau einer zumindest europäischen Photovoltaik-Industrie erscheint bei den Ausbauzielen eine notwendige Option zu sein. Weiss: „Eine Relokalisierung der Photovoltaikproduktion – vor rund 15 Jahren war Deutschland Weltmarktführer im Bereich Photovoltaik – würde das Risiko für Disruptionen in der Lieferkette verringern.“

Onshore-Windindustrie in Europa halten und stärken

Auch für die Onshore-Windindustrie gilt: Diese Industrie in Europa zu halten und zu stärken, wäre ein Vorteil. Denn noch haben europäische Windanlagenhersteller einen signifikanten Anteil der Wertschöpfung und Produktion von Windanlagen an Land in ihrer Hand.

Allerdings besteht die Gefahr, dass eine Verlegung der Produktion nach Asien einsetzt, wie bei der Photovoltaikindustrie vor 10 bis 15 Jahren. Momentan kämpfen europäische Hersteller mit geringer Profitabilität und sinkender Wettbewerbsfähigkeit wegen erhöhter Kosten für Rohstoffe, Logistik und Strom sowie Überkapazitäten. Durch diese Profitabilitätsprobleme wird es für Hersteller immer schwieriger, große Investitionen in Europa zu tätigen, die Grundlage eines skalierten Ausbaus von Windenergie sein könnten.

Weiss: „Dem möglichen Bedrohungsszenario einer abgewanderten Windanlagen-Produktion gilt es beispielsweise mit veränderten Ausschreibungskriterien und klaren Ausbauzielen entgegenzuwirken. So sollen auch hier zu starke Abhängigkeiten vermieden werden.“

Arbeitskräfte für Erneuerbaren-Ausbau aktivieren

Ein weiterer zentraler Bestandteil für die erfolgreiche Energiewende in Deutschland ist die Sicherung der benötigten Fachkräfte bis 2025 und darüber hinaus – insbesondere mit der Ambition, die lokale Fertigung und Wertschöpfungskette auszubauen. Gleichzeitig bietet insbesondere der Ausbau der erneuerbaren Energien substanzielles Potenzial, Beschäftigung in teilweise strukturschwachen Regionen in signifikantem Maße anzusiedeln. In dieser ohnehin angespannten Situation bewirkt ein weiter beschleunigter Ausbau, dass mehr als 180.000 zusätzliche Arbeitskräfte für Entwicklung, Installation und Betrieb der entsprechenden Anlagen benötigt würden.

Um den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften bis 2025 und darüber hinaus nachhaltig zu sichern, sollten zielgerichtet Maßnahmen ergriffen werden. Hierbei gibt es grundsätzlich drei Ansätze:

  • Anziehung/Abwerbung von Arbeitskräften aus angrenzenden Branchen und Märkten,
  • Ausbildung zusätzlicher Arbeitskräfte als langfristige und strukturelle Maßnahme sowie
  • Umschulung (Reskilling) der vorhandenen Belegschaft als kurzfristiges Mittel, um einem akuten Engpass vorzubeugen.

Über McKinsey
McKinsey ist eine weltweit tätige Unternehmensberatung, die Organisationen dabei unterstützt, nachhaltiges, integratives Wachstum zu erzielen. Das Unternehmen arbeitet mit Klienten aus dem privaten, öffentlichen und sozialen Sektor zusammen, um komplexe Probleme zu lösen und positive Veränderungen für alle Beteiligten zu schaffen. Weltweit arbeiten McKinsey-Teams in mehr als 130 Städten und über 65 Ländern. Gegründet wurde McKinsey 1926, das deutsche Büro 1964.

McKinsey & Company, Inc.
Kennedydamm 24
40027 Düsseldorf
Tel.: 0211/136-40
contact_us@mckinsey.com
www.mckinsey.com

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