Fit-for-55-Paket der EU-Kommission – der steinige Weg zum klimaneutralen Energiesystem
Die EU-Kommission stellte heute in Brüssel mit dem Fit-for-55-Paket ihre Vorschläge vor, wie die EU das neue Klimaziel, die Treibhausgase bis 2030 um mindestens 55 % zu reduzieren, erreichen und den Green Deal verwirklichen will. Hier einige Statements aus Verbänden und Industrie.
Robert Busch > bne: „Veränderungen sind ohne Alternative“
„Die Erwartungen an das Legislativpaket waren hoch, und die Kommission hat sich in wichtigen Punkten durchgesetzt. Denn die vorgeschlagenen Teilziele und Maßnahmen sind mitunter ambitionierter, als vorab bekannt gewordene Entwürfe erahnen ließen. Der positive Gesamteindruck darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass an vielen Stellen im Paket Nachbesserungen nötig sind. Da die europäische Staatengemeinschaft zudem nur mit einem fairen und sozial ausgewogenen Transformationsprozess ans Ziel kommen wird, begrüßen wir den Vorschlag der Kommission ausdrücklich, dass 25 % der Einnahmen aus dem ETS für Wärme und Verkehr in den geplanten Sozialfonds fließen sollen. … Die Veränderungen sind nicht einfach, aber dringend notwendig. Die Anhebung des Erneuerbare Energien-Ziels auf 40 % am Energiemix der EU bis 2030 entspricht unseren Erwartungen. Deutlich mehr als angenommen kommt auf Deutschland beim Effort-Sharing in den nicht-ETS-Sektoren zu: Hier sind bis 2030 sogar 38 % Treibhausgasemissionen einzusparen – bisher mussten Wärme und Verkehr lediglich 18 % Reduktion bis 2020 liefern. Das ist ein gewaltiger Sprung und wird eine große Herausforderung für diese Sektoren werden. … Mindestens genauso wichtig ist dabei aus Sicht der neuen Energiewirtschaft, die Reform des bestehen Emissionshandelssystem (ETS), die der Integration weiterer Sektoren vorausgehen soll. Wir begrüßen daher die angekündigte Verdopplung des linearen Reduktionsfaktors beim ETS für Energieerzeugung und Industrie und mahnen eine strenge Begrenzung von frei zugeteilten Emissionszertifikaten an. … Frei nach Churchill – es bedeutet Mut, Schweiß und Tränen, aber die Veränderungen sind ohne Alternative. Andererseits bietet diese planetenschonende Wirtschaft eine Vielzahl von Chancen und neue Geschäftsmodelle.“
Barbara Mariani > EEB: „Fit-for-55 verspielt weitere historische Chance“
„Die Europäische Kommission verpasst mit dem Fit-for-55-Paket eine weitere historische Chance, aus den fossilen Brennstoffen auszusteigen. Sie lässt die Tür offen, damit Kohle, Gas und Öl für mindestens zwei weitere Jahrzehnte im EU-Energiesystem verbleiben können, während sie den EU-Bürgern die „Verursacherrechnung“ aufbürdet. … Das wichtigste grüne EU-Politikdossier des Jahres liefert nicht nur keine klimaneutralen Fahrpläne und sektorspezifischen Ziele, sondern schützt die EU-Industrie weiterhin davor, die vollen Kosten der Umweltverschmutzung zu zahlen. Die Einführung eines Emissionshandelssystems für Gebäude und Verkehr bei gleichzeitiger Beibehaltung kostenloser CO2-Zertifikate für die Industrie und die Verwendung öffentlicher Gelder zur Finanzierung fossiler Brennstoffe in Europa wird die Kosten der Umweltverschmutzung de facto von den eigentlichen Verursachern auf den Endverbraucher verlagern. Was die Kommission als Fit for 55 bezeichnet, ist untauglich für unseren Planeten und unfair gegenüber der Gesellschaft. Ohne einen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen wird die Brennstoffindustrie die Emissionskosten für Gebäude und Verkehr auf die Bürger abwälzen und weiterhin immense Gewinne machen. … Die Ziele für erneuerbare Energien und Energieeffizienz liegen weit unter dem Ambitionsniveau, das notwendig ist, um die globale Erwärmung unter 1,5 °C zu halten, und sie sind auf nationaler Ebene nicht verbindlich. Dies wird die Energiewende in den Mitgliedsstaaten verzögern, da sich der aktuelle EU-Rahmen für Klima- und Energiepolitik als unzureichend erwiesen hat, um die Lücke zu schließen.“
Ottmar Edenhofer > PIK: „Robustes System der CO2-Bepreisung“
„Das ist ein großer Wurf – da gibt es kein Zurück mehr. Das Politikpaket der EU für die Stabilisierung unseres Klimas ist das bislang umfassendste seiner Art, und es knüpft an vieles an, was die Forschung entwickelt hat. Europa schafft einen zweiten Emissionshandel, nämlich für Transport und Gebäudewärme, zusätzlich zu dem für Strom und Industrie. Das hat fundamentale Bedeutung für unsere gesamte Wirtschaft: fast alle Bereiche werden nun von der CO2-Bepreisung erfasst. Dass die EU jetzt ein robustes System der CO2-Bepreisung geschaffen hat, ist zugleich auch die Voraussetzung dafür, dass sie mit den USA und China wirksam verhandeln kann über mehr internationale Kooperation für die Minderung des Ausstoßes von Treibhausgasen. Wetterextreme weltweit sprechen eine deutliche Sprache: Nur mit entschlossenem Handeln können wir die Kosten und Risiken noch begrenzen, für eine sichere Zukunft für alle.“
Christian Seyfert > VIK: „Standortnachteile vermeiden“
„Mit dem Fit-for-55-Paket unternimmt die Europäische Union den richtigen Schritt in Richtung Klimaneutralität. Dennoch sind die Instrumente aus Sicht der energieintensiven Industrie zu optimieren, um Standortnachteile im internationalen Vergleich zu vermeiden. Insbesondere muss Carbon Leakage verhindert werden. Die Verlagerung von Emissionen ins Ausland hilft dem Klima nicht. Beim europäischen Emissionshandel dürfen die Anpassungen von Marktstabilitätsreserve und dem linearen Reduktionsfaktor, um die Treibhausgasemissionen um 55 % zu mindern, nicht zu einer Verlagerung von Emissionen ins Ausland führen. Für die Transformation bedarf es umfassender Planungs- und Investitionssicherheit. Hierzu gehört grundsätzlich die finanzielle und unternehmerische Souveränität der Industrie.“
Andreas Kuhlmann > dena: „Begrüßen, dass alle Sektoren Beitrag leisten sollen“
„Das Fit-for-55-Paket der EU weist den Weg zur Erreichung der europäischen Klimaschutzziele. Es ist ein wahrhaft umfangreiches Paket, das den Versuch unternimmt, die ambitionierten und auch erforderlichen Klimaschutzziele mit einer insgesamt stimmigen Architektur zu verbinden. Das Paket beeindruckt durch die Vielschichtigkeit der angegangenen Maßnahmen-Vorschläge. Es wird die Debatte über die europäische und auch die jeweiligen nationalen Klimapolitiken in den kommenden Jahren bestimmen. Es ist ganz eindeutig, dass die EU in diesem Fragenkomplex die Richtung vorgibt, und das ist auch sehr zu begrüßen. Die vielleicht spannendsten Aspekte sind die Ausweitung des europäischen Emissionshandels auf die Sektoren Verkehr und Wärme und die geplante Einführung einer CBAM. … Die EU-Kommission, das europäische Parlament und die EU-Staaten sind gut beraten, sich intensiv mit dem Paket auseinanderzusetzen, seine Auswirkungen im Blick zu halten und es vor allem auch in den Vordergrund der internationalen Beratungen zu stellen. … Der Vorschlag, 25 % der Einnahmen aus dem neuen Emissionshandelssystem für Verkehr und Gebäude im Gegenzug an einkommensschwache Haushalte umzuverteilen, adressiert das Bedürfnis nach sozialem Ausgleich für die durch den Klimaschutz entstehenden Belastungen. Dafür brauchen wir auch ein insgesamt stimmiges Steuer- und Abgabenkonzept, das vielfach in der Kompetenz der jeweiligen EU-Staaten liegt. … Mit der der Einführung eines Treibhausgasminderungsziels für den Verkehr bis 2030, verschärften Emissionsstandards sowie den Gesetzesvorschlägen für die Integration erneuerbarer und emissionsarmer Kraftstoffe im Schiffs- und Luftverkehr werden ganz erhebliche Investitionen verbunden sein müssen. Das gilt insbesondere für den parallelen bedarfsgerechten Ausbau einer Lade- und Tankinfrastruktur sowie die Berücksichtigung von gesellschaftlicher Akzeptanz und sozialem Ausgleich. Aufgrund des erhöhten Einsatzes erneuerbarer Energien, sowie der geplanten Novellierungen nehmen die Diskussionen zu den möglichen Anpassungen für den Gebäudesektor auf nationaler Ebene bereits Fahrt auf. Absehbar ist eine deutliche Stärkung des Ordnungsrechts. Für einen weiteren Schub sollen im Gebäudesektor die Einführung von verbindlichen Mindestnormen für bestehende Gebäude (MEPS) sorgen. … Wir begrüßen sehr, dass alle Sektoren einen wesentlichen Beitrag zur Steigerung der Energieeffizienz durch eine Verbrauchsminderung bei der End- und Primärenergie leisten sollen. In diesem Sinne ist die mit der Revision der Energieeffizienzrichtlinie vorgesehene Stärkung des Prinzips „Efficiency First“ in Verbindung mit einem verbesserten Monitoring-System sehr zu begrüßen.“
Claudia Kempfert > DIW: „Man müsste noch beherzter vorgehen“
„Das EU-Klimapaket Fit-for-55 will Europa fit für die Zukunft machen. Dazu sollen die Emissionen um 55 % bis 2030 gesenkt werden. Dies ist zwar ambitioniert, aber immer noch nicht ausreichend, um auf den mit dem Pariser Klimaabkommen kompatiblen Pfad zu kommen; dazu wäre eine Emissionsminderung von mindestens 60 % notwendig, zudem muss das Ausbauziel erneuerbarer Energien auf 45 % erhöht werden. Die Kommission schlägt einen Strauß aus markt- und ordnungspolitischen Maßnahmen vor. Der Emissionsrechtehandel wird erweitert. Allerdings werden die darin erzielten – wenn auch leicht erhöhten – CO2-Preise für Mobilität und Gebäudeenergie allein kaum ausreichen, die notwenigen Anreize für die Emissionssenkungen zu setzen. Daher ist es richtig, flankierende Maßnahmen im Verkehrssektor umzusetzen: Durch die überfälligen Verschärfungen der EU-Emissionsgrenzwerte werden endlich die notwendigen Anreize gegeben, alle Fahrzeuge im kommenden Jahrzehnt emissionsfrei zu bekommen. … Das EU-Klimapaket geht in die richtige Richtung, es ist aber überfällig. Man müsste daher noch beherzter vorgehen mit höheren Emissionsminderungszielen, Maßnahmen und insbesondere bei den Ausbauzielen für erneuerbare Energien. … Deutschland hat hier eine Schlüsselrolle und sollte Zugpferd und Vermittler zugleich sein. Klimaschutz schafft enorme wirtschaftliche Chancen, gerade für die deutsche Wirtschaft. Europa schafft endlich einen geeigneten Rahmen dafür. Es beginnt die Zeit des Aufbruchs und der Umsetzung. Jetzt gilt es endlich schneller und ambitionierter ins Handeln zu kommen. Endlich.“
Wolfgang Weber > ZVEI: „Grüne Energie deutlich schneller ausbauen“
„Mit Mut und sinnvoll zusammengestellten Maßnahmen kann die Europäische Union ihre angestrebte Vorreiterrolle beim Klimaschutz erreichen und gleichzeitig die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Industrie stärken. Schlüssel hierfür sind die Elektrifizierung durch ausreichend Strom aus erneuerbaren Quellen zu wettbewerbsfähigen Preisen sowie die Digitalisierung. Einzelne Maßnahmen des Fit-for-55-Pakets müssten in Teilen aber ambitionierter sein, um die Klimaziele zu erreichen. Dies gilt etwa für die Energieeffizienz: Die Elektrifizierung mit erneuerbarem Strom führt zu erheblichen Effizienzsteigerungen und so zu noch weitergehenden Einsparungen beim Primär- und Endenergieverbrauch. Daher ist es positiv, dass die EU die Energieeffizienz mit der Revision der entsprechenden Richtlinie strategisch aufwerten will, sollte dies aber noch gezielter mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien und der fortschreitenden Elektrifizierung in den einzelnen Sektoren synchronisieren. Ein intelligentes Energiesystem ist Voraussetzung für eine konsequente Sektorenkopplung, welche wiederum ein weiterer wichtiger Baustein auf dem Weg zur Klimaneutralität ist. Strom aus erneuerbaren Quellen muss fossile Brennstoffe in den Sektoren Gebäude, Mobilität und Industrie ablösen. Damit dies erfolgen kann, muss grüne Energie deutlich schneller ausgebaut und günstiger, fossile Energie dagegen teurer werden.“
Carla Reemtsma > Fridays for Future: „Es ist Greenwashing“
„Es ist Greenwashing! Mit dem Namen Fit for 55 möchte die EU den Eindruck erwecken, sie mache jetzt Klimapolitik für 1,5 °C, sie werde dem Pariser Klimaabkommen gerecht. Das stimmt aber nicht. Das 55-%-Reduktionsziel für 2030 reicht eben nicht aus, um tatsächlich einen ernsthaften Beitrag zur Eindämmung der Klimakrise zu leisten. Wir steuern damit auf eine Welt zu, die 2,5 bis 3 °C heißer ist, mit verheerenden Folgen wie Wetterextremen, wie Dürren, wie Wasserknappheit, Nahrungsmittelknappheit und mehr Hitzewellen. Und genau dieses zu geringe Reduktionsziel ist das fundamentale Problem dieses Programms. Und das zeigt, dass der Green Deal an allen Ecken und Enden nicht ausreicht, den notwendigen Systemwechsel, den wir bräuchten, um die Klimakrise ernsthaft einzudämmen, zu leisten.“
Markus Krebber > RWE: „Fit-for-55 eröffnet neue Möglichkeiten“
„Heute ist ein guter Tag für den Klimaschutz in Europa. Das Fit-for-55-Paket eröffnet neue Möglichkeiten, den Ausbau der Erneuerbaren Energien deutlich zu beschleunigen und die Wasserstoffwirtschaft in Fahrt zu bringen. Zugleich bestätigt es das Emissionshandelssystem als marktbasiertes Leitinstrument. Klimaschutz und Industriepolitik zusammen zu denken, ist die Basis, um Arbeitsplätze und Wohlstand zu erhalten. Jetzt gilt es für die EU und ihre Mitgliedsstaaten, die Stellschrauben genau in diesem Sinne zu justieren.“