„Nach welcher Logik wird beim Glasfaserausbau vorgegangen?“
Es läuft nicht rund beim Glasfaserausbau in Deutschland. Jedenfalls lässt Dirk Fieml, CEO der tktVivax-Gruppe, im energie.blog-Interview kaum ein gutes Haar an der aktuellen Förderpraxis und dem Marktgebaren eines großen TK-Unternehmens. „Nach welcher Logik wird da vorgegangen?“, fragt er sich bei vielen Detailthemen. Fieml sieht sich als Fürsprecher und Unterstützer kommunaler Netzbetreiber. Insbesondere Kommunen und Stadtwerke, die per eigenwirtschaftlichem Glasfaserausbau die Initiative ergriffen haben, würden durch die aktuelle Förderpolitik bestraft. Mit nachhaltigem Schaden für die Digitalisierung in Deutschland.
e.b: Am 15. Oktober 2023 ist für Kommunen und Landkreise die jüngste Antragsfrist für die Glasfaserausbau-Förderung ausgelaufen. Bitte holen Sie uns kurz ab: In welchem Kontext ist das geschehen und mit welchem Ergebnis?
Fieml: Am 3. April 2023 hat das Bundesministerium für Digitales und Verkehr die neue Gigabit-Richtlinie 2.0 in Kraft gesetzt. Dabei hat das Dunkelgraue-Flecken-Programm das Graue Flecken-Programm abgelöst. Die Kommunen hatten sechs Monate Zeit, um die umfangreichen Anträge abzugeben. Trotz der knappen Frist hat es eine Überzeichnung der Fördermittel gegeben: Das Antragsvolumen ist bei weitem überschritten. Eigentlich stehen nur 3 Mrd. € zur Verfügung. Der Bund finanziert 50 % der Investitionen, die Bundesländer geben in der Regel 40 bis 50 % hinzu. Das ist von Bundesland zu Bundesland verschieden. Ohne diese Co-Finanzierung ist der Glasfaserausbau für die Kommunen in der Regel nicht finanzierbar. Organisiert wird die Ausschreibung über Portale, die die Projektträger atene KOM sowie PwC und TÜV hoheitlich betreiben. Die Zuteilung der Gelder erfolgt über ein Punktesystem. Im Idealfall konnten 300 Punkte erreicht werden.
„Wir kommen zu ganz anderen Ergebnissen“
e.b: Das klingt nach einem geordneten Verfahren. Trotzdem sind Sie damit alles andere als zufrieden. Warum?
Fieml: Abgesehen davon, dass diese Portale als Digitalisierungswerkzeug für das Verfahren nicht richtig funktionieren – die Vielzahl an Nachfragen zeigt dies klar –, sind das Punktesystem und das dadurch erzeugte Ranking eine Farce. Erstens legen die Projektträger die tatsächliche Punkteermittlung nicht offen. Es gibt zwar einen Katalog, wie sich die Ergebnisse zusammensetzen, aber wie einzelne Faktoren gewichtet werden und wie entschieden wird, ist sehr intransparent. Wenn wir von tktVivax oder andere Berater nachrechnen, kommen ganz andere Ergebnisse heraus.
Ein weiterer Kritikpunkt: In die Punktevergabe eingeflossen ist die von WIK Consult im Auftrag des BMDV durchgeführte Potenzialanalyse des eigenwirtschaftlichen Glasfaserausbaus in Deutschland. Diese Potenzialanalyse ist wegen ihrer mangelhaften Datenbasis kaum geeignet, um eine Priorisierung durchzuführen. Dazu kommt, dass Kommunen, die bereits eigenwirtschaftlich begonnen haben, Glasfasernetze zu bauen, im Ranking nach unten gezogen werden, also quasi für ihr Engagement bestraft werden.
Als merkwürdig empfinde ich auch die Praxis, dass Kommunen, die sich in ihrem Landkreis zusammenschließen, mehr Punkte erhalten, als wenn sie separat auftreten. Nach welcher Logik wird da vorgegangen? Es ist leider auch so, dass sich Landkreise getunt haben, um das 300-Punkte-Ziel zu erreichen, indem sie nur Kommunen mit sehr schlechter Infrastruktur in die Förderanträge aufgenommen haben. Kommunen andererseits ist diese „Optimierung“ verwehrt, sie müssen alle Ortsteile mit aufnehmen.
Kurzum: Kommunen in Landkreisen, die sich engagieren, werden nach unten priorisiert und erhalten sehr wahrscheinlich keine Förderung mehr. Andererseits haben wir dann aber auch geförderte Landkreise, die mit nur einem Breitbandkoordinator bis zu 40 Kommunen parallel betreuen müssen. Wir bei tktVivax wissen, wie groß der Aufwand ist. Eine Person allein ist damit in der Regel überfordert. Entsprechend rumpelig laufen dann auch die Projekte. Das kann es ja auch nicht sein.
„Für den Restausbau wird es keine Förderung mehr geben“
e.b: Sie sagten, eigenwirtschaftlicher Glasfaserausbau werde bestraft. Inwiefern?
Fieml: Der eigenwirtschaftliche Glasfaserausbau orientiert sich – der Begriff sagt es – an wirtschaftlichen Parametern, also an der Nachfrage und am tatsächlichen Bedarf. Das heißt, im eigenwirtschaftlichen Ausbau wird nicht flächendeckend erschlossen. Wirtschaftlich nicht erschließbare Adresspunkte in den betroffenen Kommunen fallen jetzt hinten runter. Die werden nie einen Glasfaseranschluss bekommen, weil die eigenwirtschaftlich aktiven Kommunen für den Restausbau keine Förderung mehr erhalten. Warum wird hier Eigeninitiative bestraft und Untätigkeit belohnt?
e.b: Wie geht es jetzt weiter?
Fieml: Im April und im Oktober 2024 folgen weitere Förderaufrufe. Anders als 2023 wird es dann einen vorgeschalteten Branchendialog geben, dem ein Markterkundungsverfahren folgt, in dem jene Adressen ermittelt werden, die förderfähig sind. Das ist gut und sinnvoll. Aber wenn man sich anschaut, wie knapp die Zeit bemessen ist, um das durchzuführen, dann stehen wir mit dem Rücken zur Wand. Unverständlich ist auch, dass das gesamte Förderverfahren, das wir in unseren Projekten schon einmal durchgeführt haben, noch einmal durchlaufen werden muss. Die Bürgermeister in den Kommunen haben die Nase voll von dieser Praxis. So ist zumindest der derzeitige Sachstand. Viele Informationen erhält man ja leider nicht.
„Kriterium Bedarf spielt für die Förderung praktisch keine Rolle“
e.b: Selektion der mit Glasfaser zu versorgenden Adressen ist sinnvoll, sagen Sie. Also geht es doch in die richtige Richtung?
Fieml: Ja, aber grundsätzlich wird dort, wo gefördert wird, jeder eingetragene Adresspunkt mit Glasfaser versorgt – und sei es eine Grillhütte mitten im Wald oder ein Heuschober irgendwo auf einer Wiese (siehe auch Link unten). So kommt es vielfach vor, dass kilometerlange Glasfaserleitungen gelegt werden, obwohl dort niemals eine Nutzung stattfinden wird. Wir als Berater haben diese Adresspunkte in den Kommunen, für die wir tätig sind, herausgenommen, um diese natürlich nicht zu erschließen. Für jeden dieser Adresspunkte muss aber eine schriftliche Erklärung abgegeben werden, warum sie nicht gefördert werden sollen. Ein riesiger Aufwand.
Nach meiner Meinung sollte grundsätzlich nur an Adressen, wo Eigentümer explizit sagt, dass sie Glasfaser haben möchte, auch Glasfaseranschlüsse gefördert gelegt werden. Doch das Kriterium Bedarf spielt für die Förderung praktisch keine Rolle. Es wird nicht gefragt: Willst du Glasfaser? Sondern es wird gesagt: Hier hast du es! Diese Praxis ist in meinen Augen eine Katastrophe. Wir sollten das knappe Geld an den richtigen Stellen ausgeben.
e.b: Ist das Ihre zentrale Botschaft an die Politik?
Fieml: Das ist Teil einer Reihe von Dingen, die in meinen Augen anders gehandhabt werden sollten. Die Bundesregierung muss eine andere, sprich bedarfsorientierte Förderpolitik auflegen und nicht nach dem Gießkannenprinzip verfahren. Das Punktesystem, mit dem die Fördermittelvergabe gesteuert wird, muss transparent gemacht werden. Ferner plädieren wir dafür, dass die Kommunen, die in der letzten Förderperiode durchs Raster gefallen sind, nicht wieder nach unter gerankt werden, sondern oben stehen. Und es muss politisch entschieden werden, dass in Deutschland Überbau nicht mehr möglich ist.
„Telekom behindert Wettbewerb im deutschen Glasfasermarkt“
e.b: Überbau verbieten bedeutet was?
Fieml: Überbau (siehe auch Link unten) verbieten bedeutet, dass dort, wo bereits Glasfaserleitungen liegen, kein zweites oder gar drittes Netz entsteht. Überbau – insbesondere durch die Telekom – bedeutet insbesondere für die Netzbetreiber eine massive wirtschaftliche Schwächung, die sich eigenwirtschaftlich engagiert haben. Wir brauchen ein einziges Glasfasernetz, das für alle Dienstanbieter diskriminierungsfrei zugänglich ist. Dann gibt es auch wieder Investitionen in weiteren eigenwirtschaftlichen Glasfaserausbau. Man muss es klar sagen: Die Telekom versucht all das zu verhindern, indem sie Stadtwerken zweifelhafte Pachtverträge aufnötigt oder Überbau betreibt. Sie provoziert Stranded Investments, um Anbieter aus dem deutschen Markt zu verdrängen und Stadtwerke davon abzuhalten, erfolgreich Glasfasernetze zu betreiben. Die Telekom gehört übrigens zu über 30 % dem deutschen Staat und gibt somit das Geld seiner Bürger aus, um den Wettbewerb im deutschen Glasfasermarkt zu verhindern.
e.b: Stadtwerke, die auch Ihre Kunden sind und für die Sie sprechen?
Fieml: Ja. Wir ergreifen Partei für viele kleine und mittelgroße Netzbetreiber, gerade auch im kommunalen Umfeld. Versorger dieser Größenordnung mit Glasfasersparte haben in der Öffentlichkeit ja keine so ausgeprägte Sichtbarkeit. Wir betrachten es als unsere Pflicht, diesen Marktteilnehmern eine Stimme zu geben und auf die vielen Missstände im Glasfasermarkt aufmerksam zu machen. In erster Linie aber sind wir dafür da, Kundenprojekte erfolgreich umzusetzen. Dabei unterstützen wir ganzheitlich – mit Fördermittelberatung, Vorvermarktung, Consulting, Planung, Engineering, Software und Betrieb. Es gibt im Glasfasergeschäft keine Frage, die wir nicht beantworten oder bei der wir nicht aktiv helfen könnten.
„Open Access ist eine Win-Win-Win-Konstellation“
e.b: Mit >FIBER4 haben Sie eine Initiative gestartet, die auf Open Access setzt. Der schwedische Markt ist dafür Vorbild. Was macht dieses Modell attraktiv?
Fieml: Die Netzbetreiber bekommen Traffic in ihre Netze und steigern damit ihre Einnahmen. Das macht die Sache für sie wirtschaftlicher. Diensteanbieter fühlen sich eingeladen, die Infrastruktur zu nutzen. Und in letzter Konsequenz profitieren auch die Endkunden von größerer Angebotsvielfalt. In Schweden hatten letztes Jahr 95 % der Haushalte einen Glasfaseranschluss. Open Access ist ein Katalysator für einen echten, lebendigen Gasfasermarkt und eine Win-Win-Win-Konstellation. Das sieht der >BREKO Bundesverband Breitbandkommunikation übrigens genauso. Wenn wir Monopolisierung und Abschottung von Glasfasernetzen zulassen, wirft das die Digitalisierung Deutschlands insgesamt zurück. Das versucht FIBER4 aktiv zu verhindern.
e.b: Herr Fieml, vielen Dank für das Gespräch.
Hier wird der „Reale Irrsinn“ filmisch dokumentiert: