Digitale Prepaid-Zähler: Wie die EnergieRevolte GmbH aus prekären Kunden zuverlässige Zahler macht
Von Gerhard Großjohann
Es ist ein bislang einmaliges Projekt, das die EnergieRevolte GmbH verfolgt. Möglicherweise löst das auf dem digitalen Prepaid-Zähler basierende Geschäftsmodell des 100prozentigen Tochterunternehmens der Stadtwerke Düren ein großes Problem, das Versorgungsunternehmen seit jeher haben: Säumige Zahler. Weil sie ihren Strom nicht bezahlt haben, erhalten jedes Jahr ca. 5 Mio. Haushalte in Deutschland eine Sperrandrohung, bei rund 300.000 wird der Strom tatsächlich abgestellt.
Die gängige Praxis der Versorger macht das Problem meist nur noch schlimmer: Sperrandrohung, ggf. Stromsperre, ggf. zusätzliche Sperrgebühr, ggf. Abtretung der Forderung an ein Inkasso-Unternehmen. Es ist ein System, das den Fokus allein darauf richtet, so straff und effektiv wie möglich das ausstehende Geld einzutreiben und Prozesskosten zu minimieren. Ratenangebote zur Stromschuldentilgung? Sind gut gemeint, lösen das Problem aber auch längst nicht immer. Denn wie sollen Raten bezahlt werden, wenn das Geld dafür gerade nicht im Portemonnaie oder auf dem Konto ist? Mit Strenge und Bestrafung werden prekäre Kunden letztlich nur noch tiefer ins Unglück gestürzt.
„Wir gehen davon aus, dass die Menschen ihren Strom bezahlen wollen“
Die Versorger müssten sich stärker mit der Situation prekärer Kunden auseinandersetzen, meint André Jumpertz, Geschäftsführer der EnergieRevolte GmbH. „Wir gehen davon aus, dass die meisten dieser Menschen ihren Strom eigentlich bezahlen wollen. Man muss sich also mit den Gründen auseinandersetzen, warum sie es nicht tun bzw. können. Das hängt einerseits mit der Intransparenz der Stromkosten zusammen. Die meisten Kunden wissen nicht, wieviel Strom sie verbrauchen und was der Strom kostet. Das fällt auch schwer bei einem Abschlagssystem, mit jährlich einmaliger Zählerablesung und Jahresschlussabrechnung. Andererseits sind säumige Kunden in der Mehrzahl Menschen mit niedrigen oder verteilten Einkommen, denen die Ausgaben ohnehin ständig über den Kopf wachsen, die mit ihrem wenigen Geld fortwährend jonglieren müssen oder chronisch überschuldet sind. Wenn diese Menschen plötzlich mit einer Nachzahlung von – sagen wir – 100 Euro konfrontiert werden, sind sie damit finanziell schlicht überfordert. Kommt dann vielleicht noch eine Sperrgebühr von 150 Euro obendrauf, steht der Kunde vor einer für ihn absolut ausweglosen Situation.“
Prepaid Zähler und Prepaid-App lösen das Problem
Die Lösung der EnergieRevolte GmbH besteht aus elektronischen Prepaid Zählern und einer smarten Prepaid-App für das Smartphone. Diese warnt die Kunden frühzeitig, wenn ihr Guthaben schwindet. So können sie rechtzeitig reagieren und Geld via Paypal oder Überweisung nachzahlen. Ein Vorteil des Prepaid-Systems ist, dass schon wenige Euro genügen, um die nächsten Tage mit Strom versorgt zu sein. So können sich die Kunden mit kleinen, verdaulichen Beträgen von Geldeingang zu Geldeingang hangeln, sei es etwa durch Arbeitslosengeld, Kindergeld oder Minijob-Verdienst. Dank transparentem Stromfixpreis gibt es keine versteckten Kosten. Mithilfe der App sind die Prepaid-Kunden immer über ihren aktuellen „Kontostand“ im Bilde. „So erhalten die Menschen die Chance, ihren Strom bezahlen zu können“, erläutert Jumpertz. „Und das wollen und tun sie auch, denn sie ersparen sich damit das beschämende Erlebnis, ihre Rechnung nicht bezahlen zu können. Sie sind sogar dankbar, an dieser Stelle Hilfe zu erhalten und etwas geregelt zu bekommen, was in der Vergangenheit nicht geklappt und eine große Belastung dargestellt hat. Und die Menschen haben die wohltuende Gewissheit: Meine Stromversorgung ist sicher. Denn wirklich niemand möchte plötzlich im Dunklen sitzen.“
Bezahlung des Stroms durch Dritte
Doch damit nicht genug der Vorteile: Bei Nutzung des Prepaid-Modells muss keineswegs immer der Kunde selbst den Strom bezahlen. Auch Dritte – z.B. Verwandte, Eltern, Freunde, sonstige Spender und Sponsoren – können das Prepaid-Konto mit kleinen Beträgen oder Spenden füllen – beispielsweise auch als Geschenk zum Geburtstag oder zu Weihnachten. „Bei einem Drittel unserer Kunden wird der Strom flexibel auch von Dritten bezahlt“, berichtet Ramona Zimmermann, bei EnergieRevolte verantwortlich für den B2B-Vertrieb. Ein weiterer positiver Nebeneffekt sei, dass die Kunden plötzlich anfingen, sich mit ihrem Stromverbrauch auseinanderzusetzen und bewusst Energie einzusparen.
Andere EVU werden auf das Prepaid-Zähler-Konzept aufmerksam
Rund 1.000 Kunden hat EnergieRevolte bislang in der Prepaid-Belieferung. Produktentwicklung und Vertrieb liegen komplett in der eigenen Hand, Standardprozesse wie Energiedatenmanagement und Beschaffung übernimmt das Mutterhaus Stadtwerke Düren. Der eigene Vertrieb konzentriert sich aus logistischen Gründen (effektiver Zählereinbau – siehe auch Interview unten) auf Ballungsräume, einerseits auf das rheinische Revier im Städtedreieck Aachen, Duisburg und Köln sowie das Ruhrgebiet, andererseits auf die Großstädte Berlin, Hamburg und Bremen. Inzwischen werden auch andere EVU auf das Prepaid-Konzept von EnergieRevolte aufmerksam, die das Modell per Software as a Service und als White-Label-Lösung nutzen möchten. Mit der EWV in Stolberg beispielsweise gibt es schon eine Kooperation.
„Das Prepaid-Potenzial ist viel größer, als man glauben könnte“
EnergieRevolte-Chef André Jumpertz im Interview mit energie.blog.
e.b: Herr Jumpertz, wie kam es zur Entwicklung der Prepaid-Lösung?
Jumpertz: 2017 haben wir bei den Stadtwerken Düren über Innovationen für den Energiemarkt nachgedacht. Eins der Themen lautete Prepaid. Warum soll im Energiebereich nicht klappen, was im Mobilfunk hervorragend funktioniert? Wir haben ein Konzept entwickelt und im Zuge der Konkretisierung auch über die Gründung eines separaten Unternehmens nachgedacht. Das ist dann mit der EnergieRevolte GmbH tatsächlich Realität geworden. Man hat gesagt: Wenn wir es machen, machen wir es richtig. Wir konnten das neue Unternehmen auf der grünen Wiese aufbauen, mit allen Flexibilitäten eines Startups.
„Ziel war, den Prepaid-Zähler in die Gegenwart zu holen“
e.b: War Ihnen von Anfang an klar, wie das Prepaid-Modell am Ende aussehen und funktionieren würde?
Jumpertz: Nur teilweise. Das Thema Prepaid ist ja nichts Neues für Stadtwerke. Es war ein Inkasso-Instrument, eine Fußfessel für unzuverlässige Zahler, ein Produkt, das man nicht offensiv anbot. Es war offline und musste umständlich an einem Automaten aufgeladen werden. Als wir 2018 gestartet sind, war es unser Ziel, den Prepaid-Zähler in die Gegenwart zu holen, ihn zu digitalisieren und per App steuerbar zu machen. Was das Prepaid-Angebot bei den Kunden auslöst, welche vielfältigen Mehrwerte es für sie hat, welche Akzeptanz es erfährt, das haben wir so richtig erst im Laufe der Praxis gelernt. Die Überweisung durch Dritte haben wir entdeckt, als eine Mutter für ihre Tochter eingezahlt hatte. Wir haben unser Produkt in gut anderthalb Jahren mit kleinen Stückzahlen in der Praxis entwickelt und ausgereift. Seit dem Sommer 2020 sind wir damit richtig am Markt.
„Im Notfall lassen wir die Konten ins Minus laufen“
e.b: Wie geht man bei EnergieRevolte damit um, wenn Prepaid-Konten trotz flexibler Bewirtschaftung mal leerlaufen? Das kann ja trotzdem noch vorkommen, wenn ein Kunde gerade nicht nachzahlen kann.
Jumpertz: Ursprünglich wollten wir tatsächlich in Echtzeit sperren, weil die Kunden ja jeden Tag rund um die Uhr nachkaufen können. Das haben wir aber umgestellt, weil dies unkomfortabel für den Kunden und die EnergieRevolte ist. Rigoros sperren wäre auch nicht im Sinne der Sache. Dreimal die Woche prüfen wir automatisiert, ob genügend Guthaben auf den Konten ist und warnen die Kunden. Im Notfall lassen wir die Konten ins Minus laufen. Wir schalten weder nachts ab noch an Wochenenden und Feiertagen und auch nicht freitags und montags. Die Kunden haben dann drei Tage Zeit, ihr Konto wieder aufzufüllen. Das kommt gut an und spricht sich herum. Wir sind bislang noch nie auf einem Minus sitzengeblieben.
e.b: Wie funktioniert das mit dem Zählereinbau? Was sind das für Geräte? Und wer baut sie ein?
Jumpertz: Wir haben unser System so aufgebaut, dass wir zählerunabhängig sind. Wir glauben, dass irgendwann das intelligente Messsystem die Prepaid-Funktion mit TAF 12 abbilden kann. Prepaid-Zähler, die wir aktuell verwenden, müssen drei Dinge beherrschen: Sie müssen natürlich elektronisch zählen können, sie müssen ein Guthaben verwalten und runterzählen können und abschalten können. Die Kommunikation läuft per SIM-Karte und Mobilfunk. Den Einbau steuern wir über Dienstleister. Das ist ein schwieriger Prozess, weil wir nicht für jeden Zähler zum Kunden rausfahren können. Wir haben es nun so organisiert, dass dann verbaut wird, wenn eine gewisse Anzahl von Kunden vorhanden ist, die wirtschaftlich sinnvoll bedient werden kann.
„Zuerst der Lieferantenwechsel-, dann der WiM-Prozess“
e.b: Das heißt, bis zum Einbau des Zählers muss der Kunde einige Zeit warten?
Jumpertz: Ja, aber mittlerweile startet die Belieferung sofort. Anfangs haben wir gesagt, WiM- und GPKE-Prozesse laufen synchron, d.h., mit Lieferbeginn wollten wir den Zähler montiert haben. Aber das war nicht möglich. Jetzt machen wir zuerst den Lieferantenwechselprozess, dann den WiM-Prozess. Dazwischen liegen zwar drei bis sechs Wochen, aber der Kunde ist sofort in der Belieferung. Dieses Risiko gehen wir ein. Wenn der Prepaid-Zähler eingebaut ist, wird die verbrauchte Menge auf den Prepaid-Zähler aufgebucht, und der Kunde kann später in Ruhe bezahlen. Unsere Erfahrung zeigt: Das funktioniert.
e.b: Wie gestaltet sich das Prepaid-Zähler-Modell wirtschaftlich? Sie tun etwas Gutes für eine schwierige Kundengruppe, aber Sie müssen ja auch Geld verdienen.
Jumpertz: Richtig. Bei uns gibt es eine Vertragsbindung von zwei Jahren, damit sich der Zählereinbau refinanzieren kann. Diese Kosten haben wir auf den Arbeitspreis umgelegt. Auch der Grundpreis ist darin enthalten, damit das Preismodell so einfach und transparent wie möglich ist. Unsere Tarife liegen in der Nähe der Tarife der örtlichen Grundversorger. Kauft ein Kunde größere Mengen ein, erhält er Rabatt. Der Preis ist für die Kunden aber nicht das entscheidende Kriterium, sondern der Umstand, dass er mit unserem Modell Stromsperren vermeidet, weil er seinen Stromverbrauch im Blick hat und flexibel bezahlen kann.
Natürlich arbeitet EnergieRevolte mit alles in allem 15 Mitarbeitenden und 1.000 Kunden noch nicht wirtschaftlich. Aber es zeichnet sich ab, dass wir mit steigenden Kundenzahlen Skalierungseffekte nutzen, günstiger einkaufen und Prozesse weiter automatisieren können. Wir sind fest davon überzeugt, dass sich das Geschäftsmodell in absehbarer Zeit selbst trägt. Mit dem SaaS-Ansatz, bei dem andere Stadtwerke das Prepaid-Modell als White-Label-Lösung nuten können, haben wir ein zweites Standbein, das sich ebenfalls vielversprechend entwickelt.
„Haben mit dem Modell einen Nerv getroffen“
e.b: Macht die Digitalisierung also eine bessere Stromversorgung möglich, sprich nicht nur umweltfreundlicher durch smarte Dezentralisierung und Dekarbonisierung, sondern auch sozialer?
Jumpertz: Das kann man durchaus sagen. Wobei entscheidend ist, dass wir bereit sind, umzudenken und den Menschen hinter dem Zähler sehen. Wir würden uns freuen, wenn wir hier einen Beitrag leisten können. Wir wollen zeigen, dass es eine einfach handhabbare technische Lösung gibt, die auf Stromsperren verzichtet und den Menschen tatsächlich hilft. Die vielen dankbaren, teilweise begeisterten Reaktionen unserer Kunden zeigen, dass wir mit unserem Modell einen Nerv getroffen haben. Wobei das Prepaid-Modell ja nicht nur prekäre Kunden anspricht, sondern – wie wir heute wissen – auch junge digitalaffine Menschen, die studieren oder in der Ausbildung sind, junge Familien, die ihre erste eigene Wohnung bezogen haben, junge Unternehmen usw. Das Potenzial für digitale Prepaid-Modelle ist viel größer als man glauben könnte.
e.b: Herr Jumpertz, vielen Dank für das Gespräch!