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Florian Preuß: „Telefon-Bots können den Kundenservice bei Versorgungsunternehmen spürbar entlasten“

Telefon-Bots
Florian Preuß, Geschäftsführer der A/V/E GmbH in Halle (Saale), über Notwendigkeit und Möglichkeiten für Versorgungsunternehmen, Kundenanrufe mit Telefon-Bots entgegenzunehmen und zu bearbeiten. (Bild: A/V/E)

Telefon-Bots für den Kundenservice heute und morgen

Stadtwerke und Energieversorger erleben aktuell turbulente Zeiten: Energiewende, Digitalisierung und zuletzt massive geschäftliche Auswirkungen infolge von Preisturbulenzen durch den Russland-Ukraine-Krieg sowie die überaus stressige Abwicklung der Kostenentlastungsmaßnahmen der Bundesregierung für Kundinnen und Kunden. Auch in den Service-Centern der Versorger waren die Auswirkungen zu spüren, denn diese wurden von einer nie dagewesenen Anrufwelle überrollt. Eine Linderung des Problems ermöglichen Digitalisierung und Automatisierung. energie.blog sprach mit Florian Preuß, Geschäftsführer der A/V/E GmbH in Halle (Saale). Sein Unternehmen bietet Telefon-Bots an, die wesentliche Gesprächsprozesse übernehmen und so die Service-Teams entlasten – mit erstaunlichem Erfolg.

Vervielfachung des Anrufvolumens

e.b: In jüngerer Vergangenheit sind die Energieversorger hierzulande von Anrufen verunsicherter, Auskunft ersuchender Kundinnen und Kunden regelrecht überrannt worden. Wie haben Sie das bei der A/V/E GmbH erlebt, die als Dienstleisterin Kundenkontakte für die Branche managt?

Preuß: Als mittelständischer Service-Dienstleister und Partner für rund 50 Stadtwerke und EVU in Deutschland können wir das nur bestätigen. Auch wenn Versorger längst verstärkt digitale Kanäle und Informationsangebote zur Verfügung stellen, greifen die meisten Menschen eben doch zum Telefon, um sich zu informieren. Für kleinere Stadtwerke waren früher durchschnittlich 15.000 bis 20.000 Telefonate jährlich normal. 2022 kletterte diese Zahl auf 80.000 bis 100.000. Bei einem mittelgroßen Stadtwerk mit bislang rund 40.000 Telefonaten jährlich wurden allein für den Zeitraum Januar bis Mai dieses Jahres 160.000 Anwahlversuche registriert. Es gab bei allen unseren Kunden eine Vervielfachung des Anrufvolumens.

e.b: Was waren die Gründe dafür?

Preuß: Das ging schon in der Corona-Zeit los, als persönliche Kontakte bei den Versorgern vor Ort nicht möglich waren. Maßgebliche Beschleuniger waren der Energiepreisschock infolge des Russland-Ukraine-Kriegs, schließlich ganz massiv die Dezemberhilfen sowie die Strom-, Gas- und Wärmepreisbremsen der Bundesregierung.

Kundenkommunikation durch Self Services ausbauen

e.b: Wie haben Sie als Dienstleister darauf reagiert?

Preuß: Solche Anrufvolumina sind mit herkömmlichen Mitteln und auch mit Wochenendarbeit nicht zu beherrschen. Uns war klar: Wir müssen das maschinell abfedern. Glücklicherweise verfügen wir als Unternehmen, das in vielen Abrechnungslösungen für deutsche Versorger arbeitet, über eine eigene IT-Abteilung sowie eine moderne Omni-Channel-Kommunikationsplattform. Bereits 2021 hatten wir entschieden, die sprachliche Kundenkommunikation durch Self Services auszubauen und dadurch die klassischen Routing-Themen zu erweitern. Ziel war es, ein Sprachmodell zu finden, das einerseits eine sehr natürliche Sprachausgabe ermöglicht, andererseits gesprochenes Wort auch für eine Weiterbearbeitung transkribiert. So können Kundenfragen semantisch analysiert und automatische Antworten mit hoher Zielgenauigkeit präsentiert werden.

Identifizierung, Authentifizierung, Zählerstandsmeldung, Produktwechsel…

e.b: Für welche Prozesse sind Telefon-Bots sinnvoll?

Preuß: Begonnen haben wir mit der Identifizierung und Authentifizierung der anrufenden Personen. Dieser Vorgang dauert im Live-Telefonat – je nach Prozessausgestaltung – im Schnitt zwischen 30 und 90 Sekunden. Wenn man weiß, dass wir 2022 rund 1 Mio. Kundenanrufe erhalten haben, wird klar, wie groß das Entlastungspotenzial allein für diesen einen Prozess ist. Im zweiten Entwicklungsschritt haben wir den Prozess der telefonischen Zählerstandsmeldung untersucht. Mit einem Pilotkunden haben wir diese beiden Prozesse erprobt und in den Live-Betrieb überführt. Seither sind diese und ähnliche Lösungen bei fünf weiteren EVU im Einsatz. Damit ist das Funktionsspektrum aber längst nicht erschöpft. Mit einem Kunden wird aktuell der Prozess des Produktwechsels mit Telefon-Bot-Unterstützung realisiert. Auch das Thema Tarifvergleich steht auf der Agenda.

Was Telefon-Bots sonst noch können

e.b: Sie haben den Telefon-Bot quasi selbst entwickelt. Ist es nicht sinnvoll, mit anderen Unternehmen, zum Beispiel Software-Häusern, zusammenzuarbeiten?

Preuß: Genau das ist unsere Strategie beim weiteren funktionalen Ausbau des Bots und für den Vertrieb unserer Lösung. Die Zusammenarbeit mit der CURSOR Software AG ist dafür ein Paradebeispiel. Unser Bot wurde innerhalb von vier Wochen vollumfänglich in die CRM-Lösung von CURSOR integriert und die Gesamtlösung auf der E-world präsentiert. Messegäste konnten das System live testen und am Bildschirm verfolgen, wie es die telefonisch bereitgestellten Daten verarbeitet und in den richtigen Feldern des CRM-Systems ablegt. Die durchschnittliche Erfolgsquote dieser Demo auf der Messe lag bei 95 %. Das hat übrigens bei Anrufen in anderen Sprachen ebenfalls funktioniert. Das zeigt, dass der Bot auch dabei helfen kann, Sprachbarrieren im Dialog mit Kunden zu überbrücken, die einen Migrationshintergrund haben. Auch beim Thema Datenqualität kann der Bot nützlich sein. CURSOR hat in seine CRM-Lösung ein Dashboard integriert, das automatisch die Qualität des vorhandenen Datensatzes für den betroffenen Kunden analysiert. Gibt es Lücken, kann der Bot diese im Telefonat füllen. So können zum Beispiel Telefonnummern oder Geburtsdaten eingetragen werden. Wir arbeiten aktuell übrigens daran, auch mit Herstellern von Abrechnungssystemen Standardschnittstellen herzustellen und vertrieblich zu kooperieren.

Telefon-Bots werden genau präpariert und ausgiebig getestet

e.b: Nicht jeder Mensch möchte mit einer Maschine sprechen. Wie kommen Telefon-Bots bei den Kundinnen und Kunden der Stadtwerke an?

Preuß: Unsere Erfahrungen zeigen, dass etwa 30 % aller Anrufenden im ersten Schritt nicht bereit sind, den Prozess mit dem Bot zu durchlaufen. Bei den anderen 70 % der Anrufe gelingt inzwischen zu 90 % eine automatisierte, fallabschließende Bearbeitung. Das ist eine sehr gute und spürbar entlastende Quote. Die Stadtwerke entscheiden, wie sie mit Anrufabbrechern umgehen wollen. Der Bot kann je nach Kommunikationsstrategie eingestellt werden: Wird der Call schon nach zweimaligem Nichtverstehen des Kundenanliegens zu Mitarbeitenden im Service-Center übergeben oder erst nach dem fünften Mal oder auch gar nicht? Grundsätzlich wichtig ist, dass der Bot sehr genau für seine Aufgabe präpariert und vor der Inbetriebnahme ausgiebig getestet wird.

Wachsende Erklärungsbedürftigkeit von Prozessen und Produkten

e.b: Der Bedarf an Bot-basierter Kundenkommunikation ist aktuell groß. Wird das so bleiben? Warum ist der Bot-Einsatz ggf. auch langfristig sinnvoll?

Preuß: Wir gehen davon aus, dass der Bedarf hoch bleiben wird, auch wenn die aktuell wirkenden Stressfaktoren sich abschwächen sollten. Die Energiewende führt zu immer komplexeren Prozessen und Produkten mit wachsender Erklärungsbedürftigkeit. Hier kann der Roboter die Service-Kräfte im Call-Center wirksam entlasten, indem er beispielsweise abfragt, ob die anrufende Person unklare Begriffe oder ein Thema aus einer FAQ-Liste erläutert haben möchte. Ein aktuelles, reales Beispiel ist das Stichwort „Gasmangellage“. Solche Informationen durch eine Maschine vorlesen zu lassen, verschafft den Mitarbeitenden Luft für anspruchsvollere Aufgaben. A propos Personal: Der Fachkräftemangel ist längst auch in der Kundenbetreuung angekommen. KI-basierte Lösungen bieten Unternehmen hier ein willkommenes Ventil, weil Maschinen einfache Routineaufgaben übernehmen und den Fachkräften Raum für die Bearbeitung der schwierigen Fälle geben.

e.b: Herr Preuß, vielen Dank für das Gespräch!

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A/V/E GmbH

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