Start-up will der Energiewende mit neuen Ideen Schwung geben
Das Hamburger Startup enyway GmbH versucht, mit neuen Ideen die Energiewende zu beschleunigen, worüber in den Medien schon vielfach berichtet wurde. Startprojekt war eine Plattform, auf der Endkunden Strom aus Wind-, Sonnen- und Wasserkraft direkt vom Erzeuger kaufen können. 2019 sorgte das Produkt „Change“ dafür, dass sogar Mieter in die Stromerzeugerrolle schlüpfen können. Bei einem Solarkraftwerk mit 9000 Quadratmetern Kollektorfläche in Sachsen-Anhalt konnte jeder Anteile in der Größe eines Pizza-Kartons, einer Tischtennisplatte oder eines Trampolins erwerben und den erzeugten Strom selbst nutzen. energie.blog sprach mit Andreas Rieckhoff, einem von drei enyway-Geschäftsführern, über die bislang gemachten Erfahrungen.
eb: In der Berichterstattung wurden die enyway-Produkte bisweilen als „revolutionär“ bezeichnet. Wie weit ist die Revolution denn vorangeschritten?
Rieckhoff: Der Energiemarkt ist nicht der einfachste Markt, aber wir sind grundsätzlich zufrieden mit der Geschäftsentwicklung. Für uns als Startup ist es extrem wichtig, dass wir mit begrenzten Mitteln möglichst schnell eine große Kundenreichweite bekommen. Dabei helfen uns natürlich Zeitungsartikel und Fernsehbeiträge sehr. Wenn Menschen auf unsere Webseite kommen, haben wir sehr gute Abschlussquoten. Das bedeutet: Unsere Produkte überzeugen.
eb: Werfen wir einen Blick auf die Direktvermarktung. Wie hat sich dieser Bereich konkret entwickelt?
Rieckhoff: Mittlerweile sind die ersten Stromanbieter ausverkauft. Wir schalten regelmäßig neue Erzeuger auf unserem Marktplatz online. Es gibt mittlerweile sogar eine Warteliste von Stromerzeugern, die bei uns mitmachen wollen. Die Anfragen werden vielfach dadurch getrieben, dass Anlagen demnächst aus der EEG-Förderung fallen. Auch unsere Direktvermarktungspartner spielen uns Interessenten zu. Bei der Auswahl achten wir darauf, dass der Stromanbieter auch eine spannende Geschichte mitbringt, die für Endkunden attraktiv ist.
Mehr als 4.000 Menschen an PV-Anlage beteiligt
eb: Ist Ihr Produkt Change, die Beteiligung an einer Photovoltaik-Anlage, ausgebucht?
Rieckhoff: Mittlerweile ja. Wir haben zum Schluss eine kleine Restfläche für unseren Kooperationspartner, den Tiefkühlpizzahersteller Gustavo Gusto, reserviert, weil wir auf dessen Pizza-Schachteln beworben wurden. Jeder Kunde, der darüber ein Stück Anlage gezeichnet hatte, sollte dieses schließlich auch bekommen. Die Projektschwelle von 50 % war sehr schnell erreicht, so dass frühzeitig mit dem Bau des Solarparks begonnen werden konnte. Alle Kunden haben regelmäßig Fotos vom Baufortschritt erhalten. Inzwischen ist die erste subventionsfreie PV-Freiflächen Anlage in Deutschland in Betrieb. Mehr als 4.000 Menschen sind daran beteiligt.
eb: Sie emotionalisieren das Produkt Strom. Ist das der Schlüssel für das erfolgreiche Aktivieren der Menschen?
Rieckhoff: Es ist sicherlich ein wesentlicher Schlüssel. Wenn der Stromproduzent ein Gesicht bekommt und der Kunde von seiner Geschichte und von seinen Motiven erfährt, wird das Produkt Strom ein kleines bisschen anfassbarer. Beim Produkt Change ist es im Grunde ähnlich: Ein Produkt wird emotional, wenn man sich aktiv beteiligen kann. Die Leute haben das Gefühl, noch dichter dran zu sein. Es ist halt eine coole Geschichte, wenn jemand sagen kann, beim Bau einer großen Photovoltaik-Anlage mitgewirkt zu haben. Wir ermöglichen Partizipation und sorgen für Chancengleichheit. Jeder kann von einer Photovoltaikanlage profitieren, nicht nur Unternehmer und Eigenheimbesitzer. Das befruchtet und beschleunigt die Energiewende.
eb: Und der zweite Schlüssel?
Rieckhoff: Ein weiterer wichtiger Faktor für den Erfolg ist die Digitalisierung. Wir haben viele junge Kunden, die ihr Leben komplett über das Smartphone organisieren. Darauf müssen wir uns noch besser einstellen.
„Damit treffen wir den Nerv der Zeit“
eb: Was meinen Sie damit konkret?
Rieckhoff: Dass man nur wenige Klicks braucht, um mitmachen zu können. Dass man mit Gamification-Ansätzen arbeitet und den Menschen ein positives Erlebnis verschafft. Wir müssen die Kunden dort erreichen, wo sie kommunizieren. Und wir müssen sie so ansprechen, wie sie es kennen und erwarten. Außerdem müssen wir die Produkte noch einfacher gestalten.
eb: Ist Ökostrom inzwischen Mainstream?
Rieckhoff: Das kann man sicherlich sagen. Trotzdem sind viele Menschen noch nicht auf Ökostrom umgestiegen. Die meisten haben noch nicht einmal ihren Anbieter gewechselt. Deshalb gehen wir einen Schritt weiter, indem wir das Produkt Strom aus der Anonymität holen und Angebote machen, die involvieren, die eine aktive Teilhabe an der Energiewende ermöglichen und die bestehende Strukturen verändern. Ich glaube, damit treffen wir den Nerv der Zeit.
eb: Welche Folgeprojekte haben Sie in der Pipeline?
Rieckhoff: Wir stehen im intensiven Austausch mit unseren Kunden und haben sehr viel Feedback erhalten. Dabei haben wir gelernt, dass unsere Kunden sich gerne noch stärker selbst aktiv einbringen, einen echten Beitrag zur Energiewende leisten wollen. In diese Richtung wollen wir unser Produktangebot erweitern.
eb: Neue Geschäftsmodelle erfordern neue Prozesse. Wie organisieren Sie diese?
Rieckhoff: Das teilt sich bei uns in drei Bereiche auf. Praktisch alle Prozesse bis zum Vertragsabschluss des Kunden, also Marketing und Vertrieb beispielsweise, haben wir selbst entwickelt und auf unserem Marktplatz integriert. Die energiewirtschaftlichen Prozesse wie Marktkommunikation, Abrechnung usw. erbringen dienstleistend die Stadtwerke Schwäbisch Hall für uns. Auf der Erzeugungsseite haben wir Partnerschaften mit zwei Direktvermarktungsdienstleistern, Statkraft und Sunnic. Daneben kommt die Blockchain-Technologie für die eindeutige und fälschungssichere Zuordnung der PV-Teilflächen zu den Kunden zum Einsatz. Das haben wir deshalb so gelöst, weil die Blockchain uns hier schon einen echten Mehrwert bietet und zukünftig weitere Anwendungsfälle ermöglicht.
eb: Herr Rieckhoff, vielen Dank für das Gespräch.