„Mit dem Steuerrollout erhöht sich die Anzahl der Systeme, die zusammenspielen müssen, nochmals“
Die Novelle des Messstellenbetriebsgesetzes bringt nicht nur neue Fristen und Pflichten, sondern auch wachsende technische Komplexität. Marcus Hörhammer, Geschäftsführer bei VOLTARIS, erläutert im energie.blog-Interview, warum der Steuerrollout für Stadtwerke neue Anforderungen mit sich bringt – etwa beim CLS-Management, bei ERP-Schnittstellen und in der Netzvisualisierung. Ein Gespräch über systemische Herausforderungen, Mobilfunkprobleme in Kellerräumen, die Rolle des aktiven externen Marktteilnehmers – und warum standardisierte Prozesse in der VOLTARIS-Anwendergemeinschaft jetzt ein echter Vorteil sind.
Novelle des Messstellenbetriebsgesetzes
e.b: Herr Hörhammer, die Novelle des Messstellenbetriebsgesetzes ist Ende Februar in Kraft getreten. Wie bewerten Sie das neue Gesetz?
Marcus Hörhammer: Zum einen sind wir natürlich froh, dass die Novelle verabschiedet ist. Das heißt, es entsteht kein längerer Zeitraum, in dem Unsicherheiten existieren. Außerdem freut es uns, dass die Wirtschaftlichkeit durch die Anhebung der Preisobergrenzen und das Wegfallen der Bündelprodukte verbessert wurde. Und natürlich auch, dass die Steuerung als solche entsprechend abgerechnet werden kann.
Es hat sich schon im Entwurf des letzten Jahres abgezeichnet, dass wir vom Messrollout zum Steuerrollout kommen. Damit wird der Prozess viel dynamischer. Man sieht auch im Vergleich zum Entwurf vor ein paar Monaten, dass die Zahl der Pflichteinbaufälle dennoch konstant bleibt, aber auf höherem Niveau, als man das noch vor ein paar Jahren geplant hatte. Wir gehen davon aus, dass es zwischen 26 und 33 Millionen Pflichteinbaufälle sein werden. Und wenn man jetzt davon ausgeht, dass 13 bis 14 Prozent der Messsysteme schon eingebaut sind, ist das schon eine gewaltige Anzahl. Das ist auch notwendig, um das Thema Steuerung und Flexibilisierung von Erzeugung und Verbrauch abzubilden.
Wir begrüßen es außerdem, dass bei der sicheren Lieferkette nun auch Vereinfachungen anstehen. Man muss natürlich auch hier prüfen, ob noch weitere Erleichterungen notwendig sind. Dieses Jahr ist auf jeden Fall das entscheidende Jahr, um den Rollout in Deutschland auf die Straße zu bringen.
20-Prozent-Quote beim Smart-Meter-Rollout
Mit den Vorgaben des §14a EnWG zur Anbindung steuerbarer Verbrauchseinrichtungen über die CLS-Schnittstelle erweitern sich die Aufgaben der Netz- und Messstellenbetreiber. Sie nehmen die Marktrolle des aktiven externen Marktteilnehmers, kurz aEMT, ein.
e.b: Dieses Jahr müssen auch 20 Prozent der Pflichteinbaufälle von intelligenten Messsystemen erreicht werden. Wie wird sich die Bundesnetzagentur positionieren, wenn das Ziel verfehlt wird?
Marcus Hörhammer: Wir haben wahrgenommen, dass die Bundesnetzagentur entsprechende Abmahnungen an grundzuständige Messstellenbetreiber versendet hat – und das in nicht unerheblicher Zahl. Ende des Jahres werden wir sehen, wo die Reise hinging und wie sich die Bundesnetzagentur positioniert. Wir werden dann auch sehen, wie das Thema Steuerrollout weitergegangen ist. Das ist ein wichtiger Punkt, denn die Stadtwerke und Versorger müssen dieses Thema auch etablieren. Es ist hier eine systemische Komplexität zu erwarten, die bisher in dem reinen Messrollout gefehlt hat. Die Frage wird sein, wie geht der Markt mit diesen Anforderungen um?
e.b: Was macht es denn so komplex?
Marcus Hörhammer: Die verschiedenen Systeme müssen zusammenspielen. Mit dem Steuerrollout erhöht sich deren Anzahl nochmals. Mit den Vorgaben des §14a EnWG zur Anbindung steuerbarer Verbrauchseinrichtungen über die CLS-Schnittstelle erweitern sich die Aufgaben der Netz- und Messstellenbetreiber. Sie nehmen die Marktrolle des aktiven externen Marktteilnehmers, kurz aEMT, ein.
Nur der aEMT darf steuerbare Geräte, die sogenannten Controllable Local Systems, hinter dem Smart Meter Gateway betreiben: Daten empfangen, die Geräte verwalten und Schalthandlungen im Netz durchführen. Voraussetzung für das CLS-Management ist die Erweiterung der IT-Systemlandschaft um ein entsprechendes CLS-Management-System, das ausschließlich von einem aEMT betrieben werden darf und das an das Gateway-Administrations-System anzubinden ist.
Wir haben unsere Systemlandschaft um ein aEMT-System erweitert und können unseren Stadtwerke-Partnern die volle Funktionalität des aEMT anbieten – und damit die Infrastruktur zum Schalten und Steuern und die Bereitstellung von Netzzustandsdaten nach TAF 10.
Weiterhin sind die ERP-Systeme der Stadtwerke anzubinden. Hier sind Updates in der Funktionserweiterung nötig, damit die Steuerhandlung über den sogenannten Universal-Bestellprozess bestellt werden kann.
Und schließlich müssen die Netzbetreiber ein System zur Digitalisierung ihrer Netze aufbauen und anbinden, wie zum Beispiel ein Niederspannungscockpit. Mit diesem können Messwerte erfasst und aufbereitet und steuerbare Geräte reguliert werden.
VOLTARIS-Anwendergemeinschaft
e.b: Wie ist denn aktuell der Stand in der VOLTARIS-Anwendergemeinschaft beim Rollout?
Marcus Hörhammer: Unsere Stadtwerke-Partner sind beim Hochlauf des Rollouts auf einem guten Weg. Innerhalb unserer Anwendergemeinschaft laufen die Prozesse stabil. Das, was wir bei unseren Kunden im Gros durch haben, ist, dass wir unsere Systemwelt per Schnittstelle an die ERP-Systeme der Stadtwerke angebunden haben. Wir haben dann oftmals zwei, drei Feldtestanlagen durchgeprüft und begleitet. Die Monteure sind zudem für die sichere Lieferkette geschult. Die systemischen Prozesse funktionieren also, genauso wie das Handling im Messstellenbetrieb vor Ort.
Der einzige Flaschenhals ist jetzt das Ausrollen der intelligenten Messsysteme mit eigenen Monteuren, um damit idealerweise bis Ende des Jahres die 20 Prozent zu erreichen. Wer jetzt noch keine Montage-Dienstleister beauftragt hat, wird es schwer haben, noch ausreichend Montage-Kapazitäten aufzubauen.
e.b: Also es könnten auch noch Stadtwerke bei Ihnen dazu kommen, die noch nicht in den Rollout gestartet sind?
Marcus Hörhammer: Ja, und das ist der Vorteil unserer Anwendergemeinschaft, die inzwischen auf über 50 Stadtwerke und Netzbetreiber angewachsen ist: Wir haben Standardprozesse und Vorgehensweisen für alle geschaffen, so dass wir in kürzester Zeit Stadtwerke anbinden, Prozesse etablieren und Schulungen durchführen können. Und dann kann das Stadtwerk auch schon mit dem Rollout starten.
Neue Rolle Auffangmesstellenbetreiber
Der Markt wird zu einem bestimmten Zeitpunkt auch nur zu einer bestimmten Leistungsfähigkeit bereit sein. So etwas kann man nicht einfach so verordnen.
e.b: Wer nicht schnell genug ausrollt, dem droht ja auch die Gefahr, dass der Auffangmessstellenbetreiber übernimmt …
Marcus Hörhammer: Die Bundesnetzagentur monitort das Vorgehen natürlich, um zu sehen, was der Markt zu einem spezifischen Zeitpunkt tatsächlich kann. Es wäre auch sehr wünschenswert, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber sich den Monitoring-Prozess anschaut und hier Anforderungen nachjustiert. Der Markt wird zu einem bestimmten Zeitpunkt auch nur zu einer bestimmten Leistungsfähigkeit bereit sein. So etwas kann man nicht einfach so verordnen.
Zum Auffangmessstellenbetreiber: Dieser würde nicht die Netzsteuerung vor Ort übernehmen – diese ist immer vom Netzbetreiber selbst umzusetzen. Nur er kann in seinem Netz erkennen, wo aktiv steuernd einzugreifen ist und dies dann auch anstoßen.
e.b: Hand aufs Herz, wie viele Ihrer Unternehmen haben die 20 Prozent schon erreicht?
Marcus Hörhammer: Einige haben schon intelligente Messsysteme ausgerollt, die 20 Prozent hat allerdings noch keiner erreicht. Die Werke sind jedoch auf einem guten Weg, dass die Systeme und Prozesse funktionieren. Sie werden also keine Probleme haben, die 20 Prozent in Eigenverantwortung zu montieren und ins Netz zu bringen. Aktuell setzen wir gerade die Prozesse und die Systeme für den Störungsprozess auf, damit das alles automatisiert abläuft und an die richtigen Stellen verteilt wird.
Größte Herausforderung
e.b: Was ist denn aktuell die größte Herausforderung?
Marcus Hörhammer: Tatschlich immer noch der Mobilfunkempfang vor Ort. Ein schwacher Mobilfunkempfang stört den Betrieb der intelligenten Messsysteme. Messdaten kommen verspätet oder gar nicht an, Verbindungen brechen ab. Teuer wird es, wenn der Monteur die Messstelle dann mehrfach anfahren muss.
Um die Monteure vor Ort zu unterstützen, haben wir daher ein komplettes Maßnahmenpaket für die Mobilfunkanwendung entwickelt. Vor der Installation bieten wir eine Abfrage der Providerdaten für die Anschlussobjekte an, um die Feldstärke am Haus festzustellen. Für Gateways, die im Keller verbaut werden, gibt es typische Abschlagswerte. Es kann aber sein, wenn man sich die Situation vor Ort anschaut, dass der Kellerraum noch stärker abgeschirmt ist, als gedacht. Dann muss man vielleicht eine Antenne ans Fenster legen oder gleich nach Möglichkeit auf eine andere Technologie ausweichen. Wir testen auch weitere WAN-Alternativen, zum Beispiel BPL oder die Anbindung von Gateways im 450 MHz-Funknetz.