„Wir müssen bei der Eichung Vergleichbarkeit herstellen, aber das lässt sich mit einem Fahrzeug als Prüflast für die Ladesäule nicht erreichen“
Wie kann man Schnellladesäulen eichrechtskonform und gleichzeitig praxistauglich prüfen? Karsten Schröder, Geschäftsführer der EMH Energie-Messtechnik GmbH, spricht im energie.blog-Interview über die Herausforderungen bei der eichrechtskonformen Prüfung von Gleichstrom-Ladesäulen. Denn aktuell gibt es hier noch einigen Lösungsbedarf, für die eichrechtskonforme Prüfung stehen bislang nur voluminöse und schwer handhabbare Lösungen bereit. Das könnte sich bald ändern: Schröders Unternehmen hat auf der E-World als Weltneuheit eine wirklich mobile Lösung vorgestellt. Ein Gespräch über Phantomlast, regulatorische Hürden und warum praktikable Eichtechnik entscheidend für die Zukunft der Elektromobilität ist.
Präzises Messen bei Prüftechnik
e.b.: Herr Schröder, EMH hat eine neue Technologie für die E-Mobilität entwickelt, die erstmals als mobile Lösung die eichrechtskonforme Prüfung von Schnellladesäulen ermöglicht. Um welche Prüfung geht es konkret?
Karsten Schröder: Wenn ein Ladevorgang beendet ist, erfährt der Kunde über ein Display oder eine App, wieviel Kilowattstunden Energie dem Netz entnommen wurden, welcher Preis pro Kilowattstunde fällig wird und was die Aufladung nun insgesamt kostet. Das Prinzip ist nicht anders als an einer Tankstelle, und in beiden Fällen muss sich die Kundschaft darauf verlassen können, dass die Angaben auch stimmen. Um das sicherzustellen, müssen die jeweiligen Zählvorrichtungen regelmäßig überprüft werden. In Bezug auf Ladesäulen gilt hier in Deutschland, dass die Toleranz der darin verbauten Zähler maximal zwei Prozent betragen darf. Um eventuelle Fehler zuverlässig erkennen und vor allem rechtssicher nachweisen zu können, müssen die eingesetzten Prüfgeräte natürlich entsprechend präzise sein. Wir reden hier über Genauigkeiten, die um mindestens zehnmal besser als die Zählvorrichtung der Ladesäule sind.
e.b.: Wie funktioniert das in der Praxis?
Karsten Schröder: Von EMH wie auch von anderen Anbietern gibt es schon seit einiger Zeit geeignete Lösungen, mit deren Hilfe sich Ladesäulen vergleichsweise einfach und insbesondere regelkonform prüfen lassen. Der Prozess gestaltet sich folgendermaßen: Man steckt das Kabel von der Ladesäule in eine messtechnische Apparatur, an die wiederum das Auto angeschlossen wird. Auf diese Weise kann dann die durchgeleitete Energie gemessen werden.
Noch besteht keine hunderprozentige Klarheit zur eichrechtskonformen Prüfung von Schnellladesäulen
„Ladesäulen sind eine relativ neue Technologie und es mangelt noch an einer europaweiten Harmonisierung.“
e.b.: Das klingt zunächst recht simpel.
Karsten Schröder: Ja, aber das Problem liegt darin, dass wir im Moment in Deutschland und in Europa hinsichtlich der geltenden Regeln keine hundertprozentige Klarheit haben. Ladesäulen sind eine relativ neue Technologie und es mangelt noch an einer europaweiten Harmonisierung. Künftig sollen Ladesäulen in die sogenannte Messgeräterichtlinie der EU aufgenommen werden, damit die Anforderungen der Mitgliedstaaten weniger unterschiedlich ausfallen. Aktuell kann jedes Land in Europa im Prinzip noch eigene Regeln aufstellen, wie die Eichung von Ladesäulen ablaufen soll.
In Spanien, Portugal und auch und in Deutschland sind Ladesäulen zwar in die jeweiligen Mess- und Eichgesetze aufgenommen worden. Wie die Prüfung der Anlagen zu erfolgen hat, darüber gibt es aber noch große Unterschiede, selbst innerhalb Deutschlands. Jedes Bundesland hat seine eigene Eichbehörde, mit der Folge teils unterschiedlicher Anforderungen.
e.b.: Könnten Sie das genauer erklären?
Karsten Schröder: Es gibt Regeln, die besagen: Gut und schön, dass ihr das mit der oben genannten Technik prüft, aber es macht einen Unterschied, ob dort ein Kleinwagen mit einem 400 Volt Onboard-Charger lädt oder eine leistungsstarke Limousine mit 800 Volt. Letztere kann viel schneller viel mehr Energie aus der Ladesäule laden, und die Ergebnisse sind nicht mehr so einfach vergleichbar.
Bei der Eichung müssen wir aber Vergleichbarkeit herstellen, und mit einem normalen Fahrzeug als Prüflast für die Ladesäule ist das eben nicht erreichbar. Hier muss man eine andere Technik einsetzen. Allerdings ist das auch immer ein gewisses Risiko, wenn man Geräte entwickelt und nicht weiß, welche Technologie und welche Anforderungen sich letztlich durchsetzen. Wir müssen jedenfalls eine Technik anwenden, mit deren Hilfe sich die Ladesäule immer auf gleiche Weise nach gleichen Regeln und Vorschriften eichen lässt.
Bisherige Lösungen sehr teuer, schwer und groß
„Immer, wenn das Kabel getauscht werden muss, muss eine Nacheichung erfolgen. Deswegen ist die Zahl der Eichungen tatsächlich viel höher, als es normalerweise nötig wäre. “
e.b.: Gibt es hier bereits eine Lösung?
Karsten Schröder: Es gibt Lösungen, die Leistungen von mehreren hundert Kilowatt aufnehmen können, diese sind aber über 500 Kilogramm schwer, teuer und müssen mit Gabelstaplern in das Prüffahrzeug geladen werden – oder werden gleich in einen Lastwagen oder LKW-Anhänger eingebaut. Diese Technologie ist für massenhafte Prüfungen nicht praktikabel.
Man darf ja nicht vergessen, dass Ladesäulen in Deutschland eine Eichgültigkeit von acht Jahren haben. Sprich, sie müssen alle acht Jahre geeicht werden und das gilt auch, wenn sie instandgesetzt werden. In der Realität sind die Anschlusskabel der Ladesäulen wegen des enthaltenen Kupfers in manchen Bundesländern ein begehrtes Diebesgut, oder die Kabel werden einfach nur so aus der Halterung gezogen und auf den Boden geworfen. Dann fährt jemand drüber und das Kabel ist kaputt. Immer, wenn das Kabel getauscht werden muss, muss eine Nacheichung erfolgen. Deswegen ist die Zahl der Eichungen tatsächlich viel höher, als es normalerweise nötig wäre. Bei den Eichbehörden stapeln sich aktuell die Anträge für Nacheichungen, die kommen kaum mehr hinterher.
Nun obendrein auch noch hunderttausende Euro in einen Prüfwagen zu investieren, macht die Sache nicht unbedingt einfacher. Daher war es uns wichtig, eine kleinere, einfachere und günstigere Lösung zu entwickeln und anzubieten.
Zwei Prüflastkonzepte: Mit und ohne Phantomlast
e.b.: Wie ist Ihnen das gelungen?
Karsten Schröder: Prinzipiell gibt es zwei Prüflastkonzepte. Bei Lastkonzept eins nimmt man ein Auto als Last, was aus den zuvor genannten Gründen problematisch ist. Bei Lastkonzept zwei wird die von der Ladesäule abgegebene Energie von einer sogenannten Phantomlast simuliert. Dabei handelt es sich um ein komplexes technisches Verfahren, das bei der Eichung von Stromzählern aber schon seit 100 Jahren zur Anwendung kommt.
Das Problem bei der Prüfung von Ladesäulen liegt ja darin, dass die über das Kabel abgegebene Energie irgendwohin muss. Im Normalfall nimmt die Batterie des Fahrzeugs den Strom auf. Wenn ich aber mit unterschiedlichen Lastszenarien prüfen will, brauche ich auch entsprechend geeignete Lastaufnahmen. Eine Ladesäule hat heute eine maximale Leistung von mehreren hundert Kilowatt – das ist eine Menge Energie. Zum Vergleich kommt ein Saunaofen für den Hausgebrauch auf etwa 20 bis 30 Kilowatt, also höchstens auf ein Zehntel davon.
Lösung mit Phantomlast
e.b.: Und wie kommt hier die Phantomlast ins Spiel?
Karsten Schröder: Wir haben nach wie vor das Problem, dass die von der Ladesäule abgegebene Energie irgendein Ziel haben muss. Beim Verfahren der Phantom-Leistung wird diese Energie nicht irgendwo aufgenommen, vielmehr wird der der Strom aus dem Kabel der Ladesäule im Kreis durch eine Phantomlast-Schnittstelle geleitet. Unser Gerät ist in der Lage, Phantomlasten bis zu 1.000 Volt und 600 Ampere zu erzeugen. Das ergibt maximal 600 Kilowatt. Über diese Methode erzeugen wir also den Strom mit unserem Gerät, leiten ihn in die Ladesäule und anschließend fließt die Energie über das Kabel wieder zurück. Bei alledem wird übrigens nur ganz wenig Energie verbraucht. Das ist das Geheimnis der Phantom-Messung.
Im Ergebnis kommen wir so zu wesentlich kleineren und kostengünstigeren Geräten. Klein ist dabei zugegeben relativ, denn unser mobiles Prüfgerät bringt je nach Ausführung immerhin auch noch einiges auf die Waage, bleibt dabei aber unter hundert Kilogramm. Aber dafür lässt es sich problemlos in einen Kleintransporter einbauen und erfordert weder LKW noch Anhänger.
e.b.: Dann ist das Problem gelöst?
Karsten Schröder: Fast, aber noch nicht ganz. Der Einsatz unserer Lösung erfordert eine Schnittstelle nach der neuen Norm DIN VDE V 0122-2-100, mit der im Laufe des Jahres gerechnet wird. Wir gehen davon aus, dass eine ganze Reihe von Herstellern von Ladesäulen zukünftig solch eine Schnittstelle einbauen wird – einige haben das bereits getan.
Zielgruppe für die mobile Lösung zur eichrechtskonformen Prüfung von Gleichstrom-Ladesäulen
e.b.: Wer ist denn Ihre Zielgruppe?
Karsten Schröder: Wir gehen von drei Kundenkreisen aus: Das sind erstens die Hersteller der Ladesäulen selbst, weil sie das Gerät bei der Entwicklung und auch vielleicht in der Produktion einsetzen können. Zweitens die Eichbehörden, und drittens die sogenannten anerkannten Instandsetzer – diese können auch die Ladesäulen reparieren. Anschließend kleben sie ihr rotes Instandsetzer-Dreieck auf die Ladesäule und dann darf die Anlage auch bis zur Nacheichung weiter betrieben werden, ist also weiterhin eichgültig. Das Eichrecht erlaubt den Eichbehörden, den Betreiber zu verpflichten, die für die Eichung erforderliche Technik vorzuhalten – da macht es aus unserer Sicht Sinn, dass diejenigen, die Reparaturen und Instandsetzungen an Ladesäulen durchführen, dann auch gleich die technischen Arbeiten bei der Eichung durchführen.
§14a EnWG, ein hochspannendes Thema
„Wenn jede zweite Ladesäule nicht funktioniert, weil sie gerade auf die Eichung wartet, treibt das den Verkauf nicht wirklich an. “
e.b.: 2021 hatte das Handelsblatt ja vermeldet, dass in Deutschland Tausende von Schnellladesäulen noch illegal in Betrieb sind. Die Anlagen würden gegen das Eichrecht verstoßen, Politik und Behörden dulden es aber, um den Ausbau der E-Mobilität nicht zu gefährden.
Karsten Schröder: Es ist natürlich so, dass das Eichrecht den Ausbau der elektrischen Ladeinfrastruktur nicht behindern soll, wenn man will, dass die Bevölkerung dann auch E-Autos kauft. Wenn jede zweite Ladesäule nicht funktioniert, weil sie gerade auf die Eichung wartet, treibt das den Verkauf nicht wirklich an. Und wir haben ja nach wie vor eine Millionen öffentliche Ladesäulen in Deutschland als Zielmarke bis 2030. Gegenüber Ende 2023 mit etwa 112.0000 registrierten Anlagen ist da noch einiges zu tun. Wir müssen für die Eichung also eine technisch praktikable Lösung finden.
e.b.: Die Branche der Elektromobilität ist derzeit – um es vorsichtig auszudrücken – allerdings nicht ganz so euphorisch…
Karsten Schröder: Aktuell ist die Elektromobilität nicht so ein tolles Geschäft. Die Automobilhersteller sind nicht glücklich mit den Absatzzahlen ihrer E-Autos. Und damit leiden natürlich auch die Ladesäulenhersteller, hier sind einige durch die Insolvenz gegangen. Als Unternehmen EMH sind wir zum Glück nicht nur von der E-Mobilität abhängig, sondern in vielen Geschäftsbereichen unterwegs, von der traditionellen Zählerprüftechnik über Prüfstationen hin zum Geschäftsfeld Monitoring. Wir arbeiten hier im Bereich des Niederspannungsmonitorings und auch bei Großtransformatoren. Auch das Thema §14a EnWG ist zurzeit hochspannend, in diesem Zusammenhang haben wir uns beispielsweise an dem Startup BeEnergy beteiligt. Und angesichts des weltweit fortlaufend wachsenden Strombedarfs dürfte uns die Arbeit wohl auch in Zukunft nicht so schnell ausgehen.
Über das Unternehmen:
Die 1984 gegründete EMH Energie-Messtechnik GmbH ist spezialisiert auf Prüftechnik für die Energiemesstechnik. Das mittelständische Unternehmen mit Sitz in Brackel entwickelt und produziert Präzisionsmess- und -prüfgeräte für den Bereich Strom, Spannung und Leistung sowie Online-Analysegeräte für das Isolieröl von Leistungstransformatoren. Neben Standardprodukten liefert EMH kundenspezifische Individuallösungen in Form von Sonderanfertigungen. Die Produkte werden im Rahmen der Prüfung von Elektrizitätszählern bei eichrechtlich zugelassenen Prüfstellen und bei Verteilernetzbetreibern bzw. Messstellenbetreibern sowie bei Herstellern von Elektrizitätszählern verwendet. Zum Leistungsspektrum von EMH gehört auch die Kalibrierung spezifischer Messgeräte entsprechend den Vorgaben der Deutschen Akkreditierungsstelle DAkkS.