Herausforderungen bei der Digitalisierung des Messwesens: a:m+i-Tagung gibt Impulse für Regelsetzung und Prüfstellenpraxis
Allseits zufriedene Mienen nach der „Spartenübergreifenden Prüfstellentagung 2024“ der agentur für messwertqualität + innovation e.V. (a:m+i) in Düsseldorf: Die rund 80 Teilnehmer durften die Heimreise mit mehreren Gewissheiten antreten: dass sie an einer immer wichtiger werdenden Querschnittsveranstaltung teilgenommen sowie manches Neue gelernt und viele Anregungen mitgenommen hatten. Der Blick über den Tellerrand der eigenen Sparten hinaus vermittelte die Erkenntnis, dass die Digitalisierung des Messwesens insgesamt immer wieder neue Herausforderungen zutage fördert. a:m+i-Vorstand Robert Bergmann: „Wir wollen so etwas wie das gute Gewissen im Messwesen sein, Impulse für die Regelsetzung und Prüfstellenpraxis geben, aber auch den Finger in die Wunde legen, wo das nötig ist. Das ist uns auch beim diesjährigen Austausch wieder hervorragend gelungen.“
Stau beim Eichen öffentlicher Ladesäulen
Beispiel Instandsetzung und Eichung im Feld an DC-Ladesäulen: Dr. Sebastian Mathar von der Alpitronic Deutschland GmbH erläuterte die Problematik für Betreiber. Normalerweise müssen DC-Ladesäulen alle acht Jahre geeicht werden. De facto ist dies oft aber in deutlich kürzeren Intervallen nötig, weil Teile durch Abnutzung, Vandalismus oder Defekte ausgetauscht werden müssen und die Ladesäulen danach neu zu eichen sind. Angesicht der wachsenden Zahl von öffentlichen AC- und DC-Ladesäulen in Deutschland – aktuell rund 150.000, davon gut 25.000 DC-Säulen – sind die Eichbehörden zunehmend überfordert. Teilweise müssten Ladesäulenbetreiber Monate auf die Nacheichung warten und erlitten massive finanzielle Einbußen. „Es muss kurz- bis mittelfristig in Zusammenarbeit mit der PTB, den Eichbehörden und den Herstellern ein effizienter und ökonomischer Weg gefunden werden, zahlreiche Eichungen mobil im Feld durchführen zu können“, forderte Mathar. Um den Prozess abzukürzen, plädierte er dafür, im Fall von Eichungen vor Ablauf der regulären Frist ein vereinfachtes Verfahren anzuwenden, bei dem „sinnvollere“ Betriebspunkte angefahren werden, sprich solche mit niedrigerer Leistung. Dafür hat sein Unternehmen hausintern ein „Hypercharger Test System“ entwickelt, das die Form eines handlichen Koffers hat.
ELVIS von der PTB zu träge und zu teuer?
Damit konnte sich Enrico Mohns von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) mit Verweis auf in der Praxis festgestellte Messabweichungen und individuelle Ladekurven der PKW nicht anfreunden. Man benötige ein voll ausgestattetes Prüflabor an der Ladeeinrichtung. Ein solches hat die PTB mit ELVIS (Electric Vehicle Charger Inspection System) entwickelt, ein fünf Meter langer und drei Meter hoher Anhänger mit vollautarker Stromversorgung, AC- und DC-Ladeeinrichtungen bidirektional bis 24 kW, unidirektional bis 300 kW mit realer Leistung in der ersten Ausbaustufe. Davon existiert bislang allerdings nur ein Prototyp, und das System ist extrem kostspielig. Für Ladeleistungen im Megawattbereich stellte Mohns das Prinzip der Phantomleistungsmessung vor, bei dem mit kleiner Leistungsaufnahme die Realleistung geprüft werden kann.
Neue Optionen beim Tarifieren in der Wärmeabrechnung
Neue Herausforderungen auch im Bereich Wärmeabrechnung, wo neue Optionen zur Tarifierung und Datenerfassung gefragt sind. Ulrich Eff von Diehl Metering stellte dar, dass die Bildung von Tarifen nach Zeit und Verhältnissen mit nur einem geeichten Energieregister nicht möglich sei. Durch Initiative von AGFW in Zusammenarbeit mit Herstellern und der PTB seien europäisch existierende Lösungen auf nationale Ebene gebracht worden. Zukünftig werde es zusätzliche nationale Zulassungen für Messgeräte für thermische Energie geben, die mehr als ein geeichtes Register nebeneinander zulassen. Die berechnete Wärmemenge werde einerseits in das geeichte Hauptregister gezählt und dort akkumuliert. Außerdem werde die Wärmemenge abhängig von einem definierten Signal in geeichte Zusatzregister verteilt, nach denen dann auch zu unterschiedlichen Tarifen abgerechnet werden darf. Signale zur Aufteilung der Wärmemenge sind z.B. Temperaturdifferenz, Rücklauf- oder Vorlauftemperatur.
Herausforderungen bei der Mengenmessung von Wasserstoff
Dr. Jens Hoffmann von der DVGW-Forschungsstelle berichtete über den aktuellen Stand der Gasmessung bei Einsatz von Wasserstoff. In den Technischen Richtlinien – Messgeräte für Gas ist festgelegt, dass die Wasserstoffzumischung zum Erdgas bis zu 5 % unbedenklich ist. Bis zu 10 % sind möglich, wenn der Zählerhersteller dies explizit gestattet. Bei mehr als 10 % ist eine Unbedenklichkeitsbescheinigung der PTB erforderlich. Dafür muss der Zähler auf einem geeigneten Prüfstand getestet werden. Hoffmann berichtete über einschlägige Forschungsprojekte wie die EMPIR-Projekte MetHydInfra und NewGasMet sowie das DVGW-Projekt G2022010. Die Ergebnisse der DVGW-Analysen zeigen, dass aus Sicht der Messrichtigkeit die Verwendung von Balgengaszählern und Haushaltsdruckregelgeräten bei Einspeisung von bis zu 30 % Wasserstoff bzw. reinem Wasserstoff in das Erdgasnetz möglich ist. Es seien jedoch noch viele Einzelfragen zu klären, insbesondere zur Langzeitbeständigkeit der Materialien und Messabweichung mechanischer Messgeräte bei geringen Drücken und im unteren Durchflussbereich. Ebenfalls sei zu prüfen, ob sich elektronische Komponenten (etwa Ultraschallzähler) für veränderte Gaseigenschaften eignen.
Neue Wege beim Zähler-Whitelisting gefragt
Jürgen Blümer von der Heinz Lackmann GmbH & Co. KG und Johannes Seiwert von der Netze BW GmbH berichteten über die Probleme beim Zähler-Whitelisting, also der Freigabe von Stromzählern für den Betrieb an einem Smart Meter Gateway (SMGW) in intelligenten Messsystemen (iMSys). Selbst nach erfolgreichen Tests gebe es keine Sicherheit, dass die Zähler im Feld interoperabel betrieben werden können. Auch seien die Hersteller mit der Vielzahl möglicher Gerätekombinationen überfordert. Trotz mittlerweile mehreren Jahren gelebter Praxis herrsche vielfach mangelhafte Interoperabilität. Lösungsansätze: Standards und Testfallspezifikation müssen laut Blümer aktuelle Herausforderungen bei der Nutzung von Zählern im iMSys widerspiegeln. Erweiterte Testfälle seien von Testmaschinen zu prüfen, die sowohl bei Zählerherstellern als auch bei SMGW-Herstellern zum Einsatz kommen müssten. Wobei Testmaschinen nicht die Tests zwischen den Geräten ersetzen könnten, wohl aber den Prüfaufwand reduzieren. Wichtig sei auch die Freigabe der Konzepte für die Prüfwerkzeuge für die Messwert-Konformität (MeKo) und deren Etablierung in der Branche. „Der sichere Betrieb von Zählern im Local Metrological Network sollte ein gemeinsames Ziel der gesamten Branche sein“, appellierte Blümer.
Fehlende Standards bei der Prüfung smarter Kommunikationswege
Zum Thema Metrologie und Kommunikation im Bereich Wasserzähler referierte Andre Weinsheimer von der Hermann Pipersberg Jr. GmbH. Er stellte die unterschiedlichen Anforderungen an die Prüfung verschiedener smarter Kommunikationsstandards wie LPWAN und NB-IoT vor. Für die metrologische Prüfung gebe es keine einheitlichen Standards, und man benötige dafür in der Regel spezielle Hard- und Software. Weinsheimer stelle das hauseigene Test-Box-System vor, das über die NFC-Schnittstelle mit dem Zähler gekoppelt werde und einen flexiblen Einsatz ermögliche. So sei die Möglichkeit geboten, die Verbrauchsdaten des Zählers unkompliziert vom Handy abzulesen.
Cloudbasierte Prüfung von Zählern ante portas
Zu den Vorträgen, die konkret die Arbeit der a:m+i betreffen, zählten die Ausführungen von Gerhard Radke zum Thema Prüfen in der Cloud. Getrieben wird dies nicht zuletzt durch die zunehmende Integration der Messtechnik in die energiewirtschaftlichen Kommunikationsnetze. Die Cloud eröffnet Möglichkeiten, die gesamte Prozesskette ganz oder in Teilen auf wirtschaftlich vorteilhafte Weise zu prüfen. Eine Ad-hoc-Gruppe in der a:m+i ist damit befasst, das Thema definitorisch einzukreisen, Ideen zu sammeln und zu strukturieren. Die Liste potenzieller Vorteile der Cloud-basierten Zählerprüfung ist beachtlich. Klar ist aber auch: Dahinter verbirgt sich technisch, organisatorisch und politisch ein hohes Maß an Komplexität. Genau deshalb will die in der Ausgestaltung von Regelwerkfragen erprobte a:m+i im Sinne der Sache hier ein Wörtchen mitreden.
mioty – die vorteilhafte IoT-Alternative
Dr.-Ing. Niklas Duda von der Diehl Metering GmbH gewährte Einblicke in die Praxis des IoT-Funkstandards mioty für Metering und Smart City. Durch das in dieser Technik realisierte Telegram Splitting werden Datenverluste durch Störungen bei der Funkübertragung vermieden, weil die Nachrichten in kleine Sub-Pakete aufgeteilt und über 24 Sub-Kanäle unterschiedlicher Frequenz wiederholt und in zufälliger Verteilung gesendet werden. Es genügen 50 % ankommender Subpakete am mioty-Gateway, um den kompletten Datensatz wiederherzustellen. Mioty-Gateways sind zwar teurer als LoRaWAN-Gateways, allerdings werden davon aufgrund besserer Übertragungsleistung deutlich weniger benötigt, um ein IoT-Netz über eine Stadt zu legen. Am Beispiel der Stadtwerke Erfurt mit rund 30.000 Wasserzählern und 60.000 zusätzlichen IoT-Sensoren lag das Verhältnis zwischen benötigten LoRaWAN- und mioty-Gateways bei etwa 3:1. Dadurch halbieren sich die Investitions- und Betriebskosten für das IoT-Netz.
Spannend war’s! Wir kommen wieder!
Fazit: Die „Spartenübergreifende Prüfstellentagung 2024“ der a:m+i war eine abwechslungsreiche und hochinformative Veranstaltung. Ihr Reiz – und zunehmend auch ihre Bedeutung – resultieren maßgeblich aus dem aufschlussreichen Blick über den Zaun des eigenen Tuns, denn durch die Digitalisierung wachsen die Sparten beim Metering stärker zusammen. „Wir freuen uns jetzt schon auf 2025“, verabschiedete a:m+i-Kommunikationsvorstand Stefan Rottländer die Gäste. Vielleicht werden dann auch wieder Frauen dabei sein. 2024 war reine Männersache.
>Hier finden Sie das komplette Programm und alle Referenten.
Gerhard Großjohann