„Wir brauchen keine Parallelwege, sondern eine konsequente Beschleunigung und Effizienz im Rollout intelligenter Messsysteme.“ PPC-Chef Ingo Schönberg im energie.blog-Interview zur Initiative Simplify Smart Metering.(Bild: © PPC)
„Wir sollten keine Parallelwelt für „Zählerdaten-only“ sondern eine homogene Plattform mit intelligenten Messsystemen etablieren“
Droht durch „Simplify“ eine Zwei-Klassen-Gesellschaft im Messwesen? Ingo Schönberg, Gründer und CEO des Smart-Meter-Gateway-Herstellers Power Plus Communications, warnt im Gespräch mit energie.blog vor den Folgen eines parallelen Systems zur gesetzlich verankerten Infrastruktur. Die vereinfachten Lösungen zielten vordergründig auf Kunden unterhalb der Pflichtgrenze – könnten aber langfristig den Rollout intelligenter Messsysteme bremsen, so Schönberg. Neben volkswirtschaftlichen Fehlanreizen befürchtet er eine Erosion der Sicherheitsarchitektur, eine Umgehung gesetzlicher Standards und eine Verunsicherung des Marktes. Der PPC-Chef plädiert für eine beschleunigte Skalierung der bestehenden Plattform mit klaren Standards. Und eine Rückbesinnung auf das Ziel: ein resilientes, cybersicheres Smart Grid, das Kundenpartizipation, Netzdienlichkeit und Marktintegration in einem System vereint.
Rollout nimmt an Fahrt auf
e.b.: Herr Schönberg, über 10 Prozent der Pflichteinbaufälle sind bereits ausgerollt, Prozesse sind ins Laufen gekommen, der Rollout wird ein Steuerrollout – gute Gelegenheit zum Check-In?
Ingo Schönberg: Seit den Weichenstellungen des Bundeswirtschaftsministeriums und der Anpassungen der Preisobergrenzen (POG) im Messstellenbetriebsgesetz (MsbG) nimmt der Smart-Meter-Rollout deutlich Fahrt auf. Bis 2032 sollen jährlich im Schnitt 2,5 Mio. Smart Meter Gateway installiert werden, um 90 Prozent der Gebäude und über 75 Prozent der Zählpunkte in Deutschland zu erreichen. Zusätzliche Einbauten – wie zum Beispiel Mieterstrom, Kundenwunsch, Mitnahmeeffekte – und Effizienzgewinne beim Messstellenbetreiber dürften letztlich zum Vollausbau führen.
Trotz spätem Start hat Deutschland inzwischen über 1,5 Millionen. intelligente Messsysteme installiert – rund 10 Prozent des Pflichtziels. Seit der MsbG-Novelle steigt der Absatz stark: Ende 2025 werden 2,2 bis 2,5 Millionen Geräte erwartet, bei einem jährlichen Zubau von ca. 1,5 Millionen Smart Meter Gateways. Ab 2026 wird eine jährliche Quote von 2,5 Millionen. angepeilt. Während bisher priorisiert vor allem in Ein-/Zweifamilienhäuser und Gewerbe installiert wird, werden künftig verstärkt auch Mehrfamilienhäuser durch Wärmewende, Mieterstrom, Submetering und Ladeinfrastruktur einbezogen. Parallel hat der Rollout der modernen Messeinrichtung inzwischen 60 Prozent erreicht und dürfte 2026 über 70 Prozent liegen.
Im Rahmen unserer Interop-Initiative „PPC connect“ und diverser Kooperationen mit Herstellern der Energiewende testen wir in mehr als 100 Projekte ein breites Spektrum an Use-Cases. Darüber hinaus sind bereits mehrere 1000 unserer zertifizierten PPC CLS-Gateways bei innovativen Dienstleistern im produktiven Einsatz.
90-Prozent-Quote bei §14a/§9 Neuinstallationen bis Ende 2026 ist ambitioniert
Im Steuerungsrollout sorgt die BDEW WEB.API auf der Prozessebene für eine standardisierte und skalierbare Kommunikation zwischen Messstellenbetreiber, Lieferanten und Netzbetreibern. Auf Kundenseite sind EEBUS für digitale Schnittstelle bzw. Relais für Altanlagen als Standard gesetzt. Die angestrebte 90-Prozent-Quote bei zu steuernden §14a/§9-Neuinstallationen bis Ende 2026 ist ambitioniert und Verteilnetzbetreiber/Messstellenbetreiber arbeiten mit Hochdruck an der Prozessumsetzung. In einem agilen Prozess wird die Steuerung über intelligente Messsysteme bereits heute intensiv getestet und Anfang 2026 wird mit ersten Ausbauten in der Fläche die Skalierung beginnen.
Zertifizierte Steuerungseinrichtungen sind bereits von vielen Herstellern verfügbar und auch Vereinfachungen aus der BSI TR/PP 2.0 wie das direkte Steuern aus dem Smart Meter Gateway werden Anfang 2026 zertifiziert und Ende-zu-Ende nutzbar sein. Im Rahmen unserer Interop-Initiative „PPC connect“ und diverser Kooperationen mit Herstellern der Energiewende testen wir in mehr als 100 Projekte ein breites Spektrum an Use-Cases. Darüber hinaus sind bereits mehrere 1000 unserer zertifizierten PPC CLS-Gateways bei innovativen Dienstleistern im produktiven Einsatz.
Ansatz Simplify
e.b.: Aktuell gibt es Vorstöße über ein „Smart Meter Light“, PPC hat dazu eine deutliche Position. Wieso sehen Sie den Ansatz „Simplify“ als Irrweg?
Ingo Schönberg: Ich habe da eine sehr klare Meinung und gute Gründe: Wir sollten keine Parallelwelt für „Zählerdaten-only“ mittels „Simplify“ sondern eine homogene Plattform mit intelligenten Messsystemen etablieren. Wir brauchen eine Smart Grid fähige, interaktive und standardisierte Plattform für Endkunden, für alle Arten von Dienstleistern/Vertrieben und für die lokale Netzintegration/-betrieb. Kunden muss das Mitmachen bei der Energiewende und das Hineinwachsen ermöglicht werden, egal ob Prosumer oder reine Verbraucher. Das bedeutet Transparenz und cybersichere Steuerung der Energieströme beim Endkunden, im Netz und Resilienz im Stromsystem durch Erschließen von Flexibilität. Das ist unser Ziel und die Zukunft der Energiewende.
Wie oben aufgezeigt, erhält praktisch jeder Endkunde über den zeitlichen Rolloutfortschritt Zugang zu einem intelligenten Messsystem. Ein optionaler oder vorzeitiger Einbau auf Kundenwunsch ist gesetzlich gesichert. Kosten einer gewünschten vorzeitigen Ausstattung über den grundzuständigen Messstellenbetreiber oder Dienstleister, zum Beispiel bei Prosumern im Bestand, werden durch Gutschriften (§14a) und Nutzen der Marktteilnahme überkompensiert. Auch im Stromverkauf mit variablen Tarifen bleiben die Kosten für Endkunden im Vergleich zum Nutzen niedrig. Die neue Preisobergrenzen-Struktur ermöglicht Kunden eine kostengünstige netz- und marktdienliche Partizipation und Bereitstellung von Flexibilität. Die Nutzung von Netzzustandsdatenerfassung und Steuerung über intelligente Messsysteme trägt zudem dazu bei, den notwendigen Netzausbau zeitlich zu strecken und Kosten nachhaltig zu senken. Von den in der Kosten-Nutzen-Analyse (§48 Analyse 2024) ausgewiesenen volkswirtschaftlichen Einsparungen profitieren alle Nutzer des Verteilnetzes. Einsparungen überkompensieren Umlagen aus der Preisobergrenze deutlich.
Der Einstieg in die reine Zählerdatenauslesung ohne iMSys würde einer rein marktliche Steuerung aus der Cloud Vorschub leisten. Und die lokale Eingriffsmöglichkeit des Netzbetreibers umgehen. „Simplify“ könnte absehbar auch als „Vorablösung“ bei Pflichteinbaufälle dienen.
„Simplify“ untergräbt die Standardisierung – und gefährdet die Resilienz des Gesamtsystems
e.b.: Simplify Smart Metering zielt nach eigenen Angaben vor allem auf die Kunden, die nicht unter den Pflichtrollout fallen, wie diejenigen unter 6000 kWh Verbrauch. Für sie wäre es mit der angestrebten smarten Messeinrichtung kostengünstiger und einfacher an der Energiewende teilzunehmen.
Ingo Schönberg: Das Argument, Kunden würden von günstiger, grüner Energie ausgeschlossen, kann ich nicht teilen. Das Gegenteil ist der Fall. Jeder kann den Einbau auf Kundenwunsch einfordern oder wettbewerbliche Messstellenbetreiber beauftragen. Und damit zu einer einheitlichen Plattform für die Digitalisierung der Energiewende beitragen, statt über Sonderlösungen dem Gesamtsystem Deckungsbeiträge zu entziehen und sich so zu entsolidarisieren. Das ergibt auch volkswirtschaftlich keinen Sinn. Dem Preisvorteil aus der Energiewende muss auch ein Beitrag zur Systemstabilität und zu einer resilienten Infrastruktur gegenüberstehen. Statt also eine Zwei-Klassengesellschaft aus „Simplify“ und intelligenten Messsystem aufzubauen sollte das intelligente Messsystem schneller ausgerollt und Effizienzpotenzial durch Skalierung gehoben werden.
Meiner Einschätzung nach geht es bei „Simplify“ nicht nur um die Integration kleiner Verbraucher ohne Prosumer-Profil und den Stromverkauf mit variablen Tarifen. Der Einstieg in die reine Zählerdatenauslesung ohne iMSys würde einer rein marktliche Steuerung aus der Cloud Vorschub leisten. Und die lokale Eingriffsmöglichkeit des Netzbetreibers umgehen. „Simplify“ könnte absehbar auch als „Vorablösung“ bei Pflichteinbaufälle dienen. Oder würde, falls ein Prosumer-Pflichtfall später entsteht, vermutlich die Nachrüstung eines cybersicheres intelligenten Messsystems mit Netzdienlichkeit für Messstellenbetreiber/Verteilnetzbetreiber behindern. So könnten diverse proprietäre Cloud-gestützten Steuerungslösungen verbreitet und die gesetzlich verankerten Sicherheitsarchitekturen und standardisierte Plattform umgangen werden.
Ressourcenkonkurrenz, Marktverunsicherung und Stranded Investments: Die Risiken eines Parallelsystems
„Simplify“ könnte eine Parallelstruktur schaffen, die den gesetzlich vorgeschriebenen, sicheren Ausbau der Steuerung nach dem Messstellenbetriebsgesetz untergräbt. Das gefährdet langfristig den wichtigen Rollout intelligenter Messsysteme, der entscheidend für ein resilientes und effizientes Energiesystem ist. Statt einer volkswirtschaftlich sinnvollen, offenen und standardisierten Smart-Grid-Plattform, die Netz- und Marktanforderungen gemeinsam berücksichtigt, würde die Marktliche Flexibilitätsnutzung im Vordergrund stehen. Die lokale Netzstabilität und die sichere lokale Integration ins Stromnetz würden dadurch leiden. Es gibt für mich noch weitere gute Gründe, „Simplify“ skeptisch zu betrachten.
- Verzögerung im Rollout: Wie bei allen Skalierungsprozessen verzögert der Aufbau einer neuen Systemlandschaft anfangs die Geschwindigkeit. Doch mit standardisierten und etablierten Systemen kann der Ausbau dann umso schneller erfolgen. Die Einführung eines parallelen Systems, das in die Marktprozesse integriert werden muss, würde jedoch zu einer systemischen Bremse werden. Und den Rollout der Steuerung erheblich behindern.
- Fehlallokation von Ressourcen: In Konkurrenz um begrenzte Montage-Ressourcen und die Backend-Umsetzung des Steuerungssystems würde eine volkswirtschaftliche Fehlallokation entstehen.
- Verunsicherung des Marktes: Eine erneute Diskussion über den gesetzlichen Rahmen würde erhebliche Verunsicherung des Marktes bewirken und Verzögerungen im Rollout hervorrufen. Konsultationen sowie zwingende Standardisierungsprozesse der Produkte und die Integration in bestehende Prozesslandschaften würden uns Jahre zurückwerfen.
- Stranded Investment: „Simplify“ würde bei einem Bestand von 60-70 Prozent neuer moderner Messeinrichtungen (MoMe) voraussichtlich zu doppeltem Stranded Investment führen. Zunächst der Austausch der neuen MoMe, und in wenigen Jahren der erneute Austausch durch intelligente Messsysteme, sobald steuerbare Einbauten vorhanden sind. Oder proprietäre Steuerungskonzepte weiter betrieben und so die etablierte Sicherheitsarchitektur umgangen. Ich sehe auch nicht, dass über „Simplify“ ein risikoarmes Asset für Investoren entsteht.
Zielkonflikte mit standardisierter und cybersicherer Umsetzung der Digitalisierung der Energiewende
e.b.: Dennoch hat die Simplify-Bewegung gerade einige Unterstützer?
Ingo Schönberg: Wir erkennen die (nachvollziehbaren) Interessen hinter „Simplify“. Wir sehen aber vor allem den massiven Zielkonflikte mit einer standardisierten und cybersicheren Umsetzung der Digitalisierung der Energiewende:
- LoRa-Betreiber/Hersteller und alternative Funknetzanbieter sehen die Chance, über ein Parallelsystem Lösungen auf Basis Schmalband-Funk zu etablieren, die für Anforderungen beim intelligente Messsysteme ungeeignet sind
- Dienstleister im Stromverkauf/Variable Tarife hoffen auf einen schnelleren Ausbau für 15 Minuten Werte durch grundzuständige Messstellenbetreiber; aufgrund Priorisierung beim grundzuständigen Messstellenbetreiber sehe ich das eher nicht und für einen wettbewerblichen Messstellenbetreiber lohnt sich der Simplify Ausbau bei 25 Euro Preisobergrenze nicht
- Grundzuständige Messstellenbetreiber mit zählpunktbezogenen GWA-Verträgen sehen kostengünstigere Alternativen abseits dieser Verträge; besser wäre es mit Bezug auf Skaleneffekte, eine auf die erzielte Preisobergrenze bezogene angepasste Vertragsgestaltung und einen „1:n“ Rabatt einzufordern
- Stromkunden als optionale Fälle bzw. eine „Übergangslösung“ vor dem Pflichteinbau, die „nur“ Zählerdaten über Messstellenbetreiber liefern, sollen für eine marktlich fokussierte Steuerung aus der Cloud erschlossen werden und so via Cloud-Steuerung ein paralleler Pfad zur MaKo und zum Messstellenbetriebsgesetz eingeschlagen werden.
Prozesskosten schwinden mit eingeschwungenem System rapide
Auch für Mehrfamilienhäuser sehe ich, dass intelligente Messsysteme in vielen Fällen via Wärmewende, Mieterstrom, eMoblität oder Submetering Einzug halten. Mit der MsbG-Novelle und „1:n“ sind effiziente Lösungen umsetzbar. In einer zunehmend skalierten und eingeschwungenen Prozesslandschaft sinken die Prozesskosten rapide. Wenn dann der GWA/MSB-Dienst nicht alle Einbaufälle als Vollkosten pro Zählpunkt kalkuliert, sondern bei Mehrfamilienhäusern eher die Deckungsbeiträge und einheitliche Prozess im Blick hat, dann wirken Skaleneffekte im Rollout. Zumal es bei „Simplify“ mit 25 € POG (brutto) für Messstellenbetreiber wirtschaftlich schwierig wird, die WAN-Kosten, teureren „Simplify-Zähler“, die Makointegration und die doppelte Prozesslandschaft zu refinanzieren.
Zusammengefasst: Deutschland ist Vorreiter und First Mover im Smart Grid: Ein Smart Grid als cybersichere Plattform für Kundenpartizipation, Demand Response und für Effizienz im Netzausbau/-betrieb ist der Königsweg. Es ist schon seltsam, dass nach Jahren als „First Mover“ hin zum Smart Grid nunmehr auch Europa unseren Weg als „richtungsweisend“ einordnet. Und nun fordern Einige ein Zurück zu alten Systemen. Über „Simplify“ würde eine Zwei-Klassen-Gesellschaft in der Energiewende hinsichtlich Datenschutz, Cybersecurity, MaKo-Einbindung und Kundenzugang zu einer standardisierten Smart Grid Plattform befördert. Der Rollout würde so insgesamt eingebremst. Cybersicherheit und Resilienz first und kein Zurück zu alten Metering-Only Ansätzen, sondern konsequente Skalierung der Plattform intelligentes Messsystem und gezieltes Nachjustieren bei der Prozesseffizienz ist der richtige Weg.
„Smart and Secure at the Edge“ als Wegbereiter
e.b.: Was treibt PPC an und welche Lösungen können wir demnächst erwarten?
Ingo Schönberg: „Smart and Secure at the Edge“ als Möglichmacher für mehr Klimaschutz und ein resilientes Stromsystem – das ist seit Jahren unsere Ziel. Deshalb treiben wir als PPC nicht nur die Smart-Meter-Gateway-Entwicklung sondern auch die Anwendungen im Ökosystem des intelligenten Messsystems systematisch und in Kooperation voran. Innovationen bei CLS-Steuereinrichtungen, Steuern aus dem Smart Meter Gateway, die erfolgreiche Interoperabilitäts-Initiative „PPC connect“ und die Nutzung der SMGW/CLS-Systemlandschaft als Plattform für multiple Use Cases und Apps sprechen für sich.
Wir brauchen keine Parallelwege, sondern wir treiben die konsequente Beschleunigung und Effizienz im Rollout der intelligenten Messsysteme. Als innovativer deutscher Mittelständler und Vorreiter in der Digitalisierung der Energiewende sind wir ein geschätzter Partner zur Umsetzung vielfältiger Anwendungsfälle der Energiewende. Und leisten so täglich unseren Beitrag zum Klimaschutz sowie zu einer bezahlbaren und resilienten Energieversorgung.