„Ohne stundengenaue Daten kann man moderne Energiesysteme nicht sinnvoll auslegen“
Mit der webbasierten Lösung „Berta & Rudi“ können Stadtwerke und Kommunen Lastgänge prognostizieren und Versorgungskonzepte automatisiert berechnen – ganz ohne langwierige Simulationen. Im Interview erklärt Mitgründer Bernd Petraus, wie die Software funktioniert, wo sie besonders in der kommunalen Wärmeplanung hilft und warum ein PDF heute nicht mehr ausreicht.
e.b: Herr Petraus, was war der Ausgangspunkt für die Entwicklung von Berta & Rudi?
Bernd Petraus: Wir kommen aus einem klassischen Planungsbüro. Dort haben wir viele Energiekonzepte erstellt – ein oft frustrierender Prozess. Man arbeitet wochenlang an einem Konzept, stellt es vor und merkt, dass Daten fehlen oder sich Rahmenbedingungen geändert haben. Das Ganze beginnt von vorn. Wir wollten diesen Prozess radikal vereinfachen und beschleunigen. Daraus entstand die Idee, eine Software zu entwickeln, die nicht statisch ist, sondern sich dynamisch anpassen lässt.
Funktionsweise
e.b: Was genau machen Berta & Rudi – und was ist eigentlich der Unterschied zwischen beiden?
Bernd Petraus: Die beiden arbeiten Hand in Hand. Berta ist zuständig für die Prognose von stundengenauen Lastprofilen – also dafür, wie sich der Energiebedarf über das Jahr verteilt. Sie nutzt Künstliche Intelligenz, um aus wenigen Angaben wie Baujahr, Fläche, Effizienzstandard und Standort hochaufgelöste Bedarfe zu ermitteln. Damit wird eine zentrale Datenlücke geschlossen: Denn häufig liegt nur der Jahresverbrauch vor, aber nicht, wann genau welche Lasten auftreten.
Rudi übernimmt dann die Systemplanung. Auf Basis des Lastgangs schlägt er verschiedene Energieversorgungskonzepte vor – etwa optimiert nach CO2-Austoß , Investitions- oder Betriebskosten. Alternativ kann man auch eine eigene Variante eingeben, und Rudi dimensioniert diese dann präzise. Das Ziel ist: schnell zu belastbaren Aussagen kommen – ohne aufwändige Simulationen.
e.b: Früher reichten Jahresverbräuche oder Spitzenlasten – warum braucht es heute stundengenau aufgelöste Bedarfsdaten?
Bernd Petraus: Weil die Energiewelt komplexer geworden ist. Früher konnte man Anlagen rein auf Basis von Arbeit (also kWh pro Jahr) und Leistung (zum Beispiel maximale Heizlast) planen. Heute reicht das nicht mehr. Wer zum Beispiel eine Luft-Wasser-Wärmepumpe plant, muss wissen, wann der Bedarf auftritt – denn bei niedrigen Außentemperaturen sinkt die Effizienz massiv. Der Heizstab hilft, ist jedoch ineffizient. Also die Wärmepumpe lieber größer auslegen? Ist die Wärmepumpe hingegen zu groß, taktet sie wiederrum in den milderen Übergangsmonaten zu häufig und verschleißt schneller. Auch die Dimensionierung von PV- und Windanlagen, elektrischen und thermischen Speichern oder Spitzenlasttechnologien hängt davon ab, wie sich die Last über den Tag und das Jahr verteilt.
Kurz gesagt: Ohne stundengenaue Daten kann man moderne Energiesysteme nicht sinnvoll auslegen. Berta liefert genau das – auch wenn nur wenige Eingabedaten verfügbar sind.
Statt Wochen in Excel und Simulationen zu versinken, reichen heute ein halber Tag Vorbereitung sowie ein halber Tag gemeinsame Bearbeitung mit dem Kunden bzw. Projektbeteiligten – und das Konzept steht.
Geeignet für Stadtwerke?
e.b: Ihre Zielgruppe war zunächst eine andere – warum interessieren sich jetzt plötzlich auch Stadtwerke für die Lösung?
Bernd Petraus: Genau, ursprünglich hatten wir Ingenieurbüros und Anlagenbauer im Blick. Erst auf der E-World haben wir gemerkt, wie groß das Interesse bei Städten und Stadtwerken ist – das war wirklich eindrücklich. Durch die kommunale Wärmeplanung stehen viele jetzt vor der Herausforderung, in kurzer Zeit viele Entscheidungen treffen zu müssen.
Unsere Lösung befähigt Stadtwerke, erste Konzeptideen selbst zu erstellen – und das bis zu 90 Prozent schneller als mit herkömmlichen Methoden. Statt Wochen in Excel und Simulationen zu versinken, reichen heute ein halber Tag Vorbereitung sowie ein halber Tag gemeinsame Bearbeitung mit dem Kunden bzw. Projektbeteiligten – und das Konzept steht. Das spart Zeit, Geld – und ermöglicht fundiertere Entscheidungen schon in frühen Projektphasen.
Die Idee ist, dass Stadtwerke künftig auf einer Plattform alle ihre Energiekonzepte überblicken, vergleichen und fortschreiben können.
Beispiel aus der Praxis
e.b: Können Sie das am Beispiel der kommunalen Wärmeplanung einmal durchdeklinieren?
Bernd Petraus: Sehr gern. Unsere Software unterstützt in drei Schritten:
Erstens: Sie generiert stündlich aufgelöste Bedarfsprofile – auch wenn nur grobe Daten vorliegen.
Zweitens: Sie berechnet vollautomatisch die passende Energiezentrale – inklusive der Bewertung von Optionen wie Wärmepumpe, Biomasse, BHKW, PV, Speicher, Abwärme.
Drittens: Mit unserem dritten Tool „Fiona“, das bald veröffentlicht wird, kann man auch das Nahwärmenetz selbst automatisch auslegen. Die Idee ist, dass Stadtwerke künftig auf einer Plattform alle ihre Energiekonzepte überblicken, vergleichen und fortschreiben können.
e.b: Und wenn sich plötzlich die Rahmenbedingungen ändern – etwa Preise, Technologien oder politische Vorgaben?
Bernd Petraus: Genau da liegt unser Vorteil: Das Ergebnis ist kein statisches PDF, sondern ein lebendes Modell, das jederzeit angepasst werden kann. Wenn sich der Preis für Solarthermie ändert oder eine neue Technologie verfügbar ist, kann man das sofort selbst einpflegen – ohne nochmal jemanden externen beauftragen zu müssen. Wer möchte, kann sogar eigene Technologien modellieren – bis hin zu Festoxid-Brennstoffzellen oder komplexen Abwärmequellen.
Webbasierter Zugang
e.b: Wie ist der Zugang zur Software organisiert – brauchen Stadtwerke ein langes Onboarding?
Bernd Petraus: Nein, das ist uns ganz wichtig: Der Zugang ist niedrigschwellig und webbasiert. Unter berta-rudi.com kann man sich selbst registrieren, eine Testversion nutzen und bei Interesse direkt buchen. Wer Unterstützung braucht, bekommt natürlich Hilfe. Aber: Die Anwendung ist so konzipiert, dass Stadtwerke damit auch eigenständig arbeiten können.
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