Damit das Stromnetz in der Energiewende stabil bleibt: Prognosen für den Redispatch 2.0
Im Zuge der Energiewende fließt immer mehr Elektrizität aus dezentralen Photovoltaik- und Windenergieanlagen durch die Stromnetze. Damit die Übertragungsnetzbetreiber die Anlagen bei Bedarf steuern können, müssen Verteilnetzbetreiber bald mehr Transparenz in ihren Netzen schaffen. Das sieht die ab 1. Oktober 2021 geltende Neuregelung des Netzmanagements, kurz Redispatch 2.0, vor. Die Vorgaben allein umzusetzen, wird für viele Verteilnetzbetreiber aufgrund von fehlendem Know-how und zu wenig Zeit jedoch schwierig. Um die Unternehmen bei den geforderten Einspeiseprognosen zu unterstützen, hat das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) jetzt das Werkzeug „GridSage“ entwickelt. Es erzeugt Prognosen für den Redispatch 2.0: Mit Hilfe künstlicher Intelligenz wird präzise die Erzeugung der Ökostromanlagen im Verteilnetz für die nächsten 36 Stunden errechnet. Auch die Vorhersage der Last ist möglich. Die Stadtwerke Schwäbisch Hall nutzen GridSage bereits erfolgreich.
Die Versorgung mit Strom wird immer grüner und dezentraler: Die Anzahl an Windenergie- und Photovoltaikanlagen im deutschen Energiesystem nimmt weiter zu, während Atom- und Kohlekraftwerke zunehmend abgeschaltet werden. Zusammen mit Blockheizkraftwerken sollen die erneuerbaren Energien in den Verteilnetzen künftig auch die effiziente Netzführung unterstützen. Das reduziert den Einsatz von zentralen, flexiblen Gaskraftwerken. Da die Übertragungsnetzbetreiber die dezentral verteilten Anlagen steuern müssen, benötigen sie einen Überblick über die erwartete Erzeugung im Verteilnetz. Daher müssen die Verteilnetzbetreiber bald mehr Transparenz schaffen.
Einspeisung von Ökostromkraftwerken bei Überlast anpassen
Gesetzliche Grundlage ist das Netzausbaubeschleunigungsgesetz. Die bisher geltenden Regelungen zum Einspeisemanagement von Erneuerbare-Energien- und Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen werden durch das neue Redispatch-System ergänzt. Ab dem vierten Quartal müssen Ökostrom- und KWK-Anlagen ab 100 Kilowatt installierter Erzeugungsleistung in den Redispatch einbezogen werden. Verteilnetzbetreiber müssen dazu unter anderem Einspeiseprognosen erstellen und Redispatch-Potenziale ausweisen.
Die Prognose von Erzeugungsleistung ist im Redispatch-2.0-Szenario von zentraler Bedeutung. Gute Prognosen sorgen dafür, dass Redispatch-Maßnahmen günstig und effizient ausfallen können. Vor allem kleine Verteilnetzbetreiber stellt das jedoch vor große Herausforderungen. Das ZSW-Prognose-Werkzeug GridSage, englisch für „Netz-Weise*r“, unterstützt sie dabei. Die Nutzung von GridSage macht Verteilnetze transparent, rüstet sie für die Zukunft und hilft, Netzengpässe zu vermeiden. „GridSage prognostiziert die Stromerzeugung im Verteilnetz für die nächsten 36 Stunden in einer Auflösung von 15 Minuten“, erklärt Dr. Jann Binder vom ZSW. „Wir aktualisieren die Prognosen für die einzelnen EEG-Anlagen und Netzknoten stündlich und stellen sie dem Netzbetreiber automatisiert zur Verfügung.“ Auf Wunsch sind auch andere Zeitintervalle und Prognosehorizonte oder eine flexible Prognoselieferung möglich.
Prognosen mit Hilfe künstlicher Intelligenz
Die ZSW-Forschenden erstellen die Prognosen mit Hilfe von Methoden der künstlichen Intelligenz: Neuronale Netze lernen aus Daten der Vergangenheit, welche Erzeugungsanlage bei welchen Wetterbedingungen wie viel Leistung erzeugt. Diese Information nutzt GridSage, um automatisiert hochauflösende Prognosen zu erzeugen. An vielen Stellen unterzieht das ZSW die Messdaten einer Plausibilitätsprüfung, etwa durch den Vergleich der Anlagennennleistung mit der Jahreserzeugung oder den Vergleich mit der Erzeugung von gemessenen Nachbaranlagen, um fehlerhafte Daten auszuschließen.
GridSage kann zudem mehr, als vom Redispatch 2.0 gefordert wird: „Neben der Erzeugung prognostiziert das Werkzeug die Last im Verteilnetz“, so Binder. „Künftig wird das immer wichtiger. Je mehr sich die Elektromobilität durchsetzt und Wärmepumpen in Häusern installiert werden, desto größer wird die Bedeutung von präzisen Vorhersagen zum Verbrauch in Verteilnetzen. So können die Netze auch in Zukunft effizient betrieben und der Bedarf für Netzausbau verringert werden.“
Stadtwerke Schwäbisch Hall arbeiten bereits mit GridSage
Das neue Prognose-Werkzeug ist schon erfolgreich im Einsatz. Die Stadtwerke Schwäbisch Hall verwenden GridSage seit Oktober 2020. Der kommunale Versorger steuert neben dem eigenen Stromnetz die Netze zahlreicher weiterer Stadtwerken bundesweit. Dank GridSage kann die Schwäbisch Haller Netzleitstelle jederzeit mit aktuellen und belastbaren Fahrplänen arbeiten – eine gute Basis für die Netzstabilität und das Gelingen der Energiewende.
Über das ZSW
Das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) gehört zu den führenden Instituten für angewandte Forschung auf den Gebieten Photovoltaik, regenerative Kraftstoffe, Batterietechnik und Brennstoffzellen sowie Energiesystemanalyse. An den drei ZSW-Standorten Stuttgart, Ulm und Widderstall sind derzeit rund 300 Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker beschäftigt. Hinzu kommen 100 wissenschaftliche und studentische Hilfskräfte. Das ZSW ist Mitglied der Innovationsallianz Baden-Württemberg (innBW), einem Zusammenschluss von 13 außeruniversitären, wirtschaftsnahen Forschungsinstituten.
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