Zu hohe Leckageraten: Performance der Dichtungen im Gasnetz reicht für Wasserstoff nicht aus
Das deutsche Gasnetz ist mit einer Gesamtlänge von ca. 555.000 Kilometern eines der leistungsstärksten Systeme weltweit. Jedenfalls wenn es um den Transport von Erdgas geht. Wie steht es allerdings um die Dichtungen und deren Performance? Und wie entwickelt sich diese, wenn durch die Leitungen künftig reiner Wasserstoff bzw. ein H2-Gas-Gemisch gepumpt wird? Dazu hat energie.blog den Dichtungs-Experten Peter Thomsen befragt, der aktuell gemeinsam mit den Unternehmen Gasklar und Möller Metalldichtungen im Rahmen des Innovationsnetzwerks The H2 Network ein ZIM-Projekt zum Thema Metall-Hybrid-Dichtungen aufgesetzt hat.
e.b: Herr Thomsen, wie sehen Sie die Ausgangssituation beim Wasserstoff-Hochlauf?
Thomsen: Der Einsatz von Wasserstoff als Energieträger in verschiedenen Industrien und Anwendungen gewinnt zunehmend an Bedeutung, um die Dekarbonisierung und die Energietransformation sicherzustellen. Wasserstoff, der aus regenerativen Energien hergestellt werden soll, muss als Ersatz für Erdgas und Erdölprodukte zum Einsatzort transportiert werden – und das in verschiedenen Mischungsverhältnissen von Erdgas und Wasserstoff bzw. Derivaten. Der Transport mittels Rohrleitungsnetz gilt hier als vielversprechende Option. Dabei lassen sich Wasserstoff und Erdgas in beliebigen Verhältnissen mischen bei einem nahezu konstanten Wobbe-Index – er beschreibt das Brennverhalten von verschiedenen Gasen. Es liegt also nahe, dieses Leitungsnetz für den Einsatz von Wasserstoff zu ertüchtigen. Das Mischungsverhältnis wird im ersten Schritt volatil sein, da insbesondere in den nächsten Jahren die Wasserstoffproduktion auf Grund technischer Randbedingungen wie Wind- und PV-Anlagen schwanken wird, bevor die 100-%-Marke für den Wasserstoffanteil erreicht werden kann.
„Bei Umstellung auf Wasserstoff müssen Leckageraten deutlich reduziert werden“
e.b: Gibt es denn Herausforderungen, was die Performance der Dichtungen betrifft?
Thomsen: Ja, im Umgang mit Wasserstoff gibt es gewaltige Herausforderungen an diese Bauteile: Wasserstoff ist ein sehr leichtes und diffusionsfähiges Gas, das dazu neigt, in Materialien einzudringen und sie zu durchdringen. In manchen Fällen kann dieses Element die Struktur von Materialien verändern und verspröden – man spricht hier von Wasserstoffversprödung. Bei der Umstellung von Erdgas auf Wasserstoff müssen aus unserer Sicht die zulässigen Leckageraten, die durch aktuelle Regelwerke wie TA Luft und VDI 2200, VDI 2440 beschrieben sind, deutlich reduziert werden. Es gilt – weil Wasserstoff wie Methan als klimaschädlich eingestuft wird – ein Vermeidungs- bzw. Minimierungsgebot für schädliche Emissionen zu formulieren. Dieses Gebot beruht auf der Richtlinie 2010/75/EU – also der Industrieemissionen-Richtlinie – sowie dem Bundesimmissionsschutzgesetz.
e.b: Wie sehen denn die aktuell verwendeten Dichtungen aus?
Thomsen: In den Gasleitungen werden im Wesentlichen Flanschverbindungen eingesetzt, die mit einer Flachdichtung versehen werden. Im deutschen Gasnetz kann man allein in der Gasanlagentechnik im Gasverteilnetz von weit über 500.000 verbauten Flanschen ausgehen. Diese Bauteile werden aufgrund ihres Designs in den meisten Fällen mit einfachen Faserstoffdichtungen gedichtet. Den Grad der Dichtheit wird mittels der Leckrate angegeben. Dabei gilt ein Bauteil als technisch dicht, wenn die Leckrate unter einem für das Bauteil festgelegten Grenzwert bleibt. Die minimale Leckrate der Faserstoffdichtungen beträgt für λHe,1bar < 10-4 mbar · l / (s · m). Es kommen jedoch auch die wesentlich teureren Metall-Weichstoff-Dichtungen zum Einsatz, die immerhin eine Leckrate von λHe,1bar < 10-7 mbar · l / (s · m) erreichen.
„Höhere Dichtraten nur durch Metalldichtungen erreichbar“
e.b: Gibt es Bauteile, die über höhere Dichtraten verfügen?
Thomsen: Ja, höhere Dichtraten lassen sich allerdings nur durch Metalldichtungen mit Leckraten von λHe,1bar < 10-9 mbar · l / (s · m) erreichen. Für die Verwendung müssen die Flansche jedoch entsprechend konstruktiv gestaltet sein und scheiden somit für die derzeitige Gas- und Anlagentechnik mit Standardflanschen aus.
e.b: Sind Leckagen an Dichtungen nicht eher üblich?
Thomsen: Ja, genau. Leckagen an Dichtungen in Erdgasleitungen sind üblich, verursachen jedoch bei den derzeit verwendeten Modellen erhebliche Verluste. Neben den zuvor abgeschätzten Volumina und den daraus resultierenden klimaschädlichen Auswirkungen ist der Verlust auch wertmäßig relevant. Ausgehend von den jährlichen Leckagen im Bereich von 1,78 bis 13,14 * 109 m³ verflüchtigen sich jedes Jahr zwischen 2,4 und 17,7 Mrd. Euro – berechnet auf Basis von 1,35 Euro/m³. Kommt Wasserstoff vermehrt im Gasnetz vor, und wir vernachlässigen die Dichtungsfrage, wird der wirtschaftliche Verlust und die Umweltschädlichkeit um den Sicherheitsaspekt des sehr reaktionsfreudigen Wasserstoffs verschärft.
„Metall-Hydrid-Dichtungen helfen beim Vermeiden schädlicher Emissionen“
e.b: Auf welche Art der Dichtungen setzen Sie also?
Thomsen: Auf sogenannte Metall-Hydrid-Dichtungen. Sie helfen bei der Vermeidung bzw. Minimierung schädlicher Emissionen. Zugleich können die Anwender ihre finanziellen Ressourcen schonen.
e.b: Wie stehen die Fachverbände zu den neuen Dichtungen?
Thomsen: Die nehmen aus unserer Sicht leider eine – diplomatisch formuliert – passive Rolle ein.
e.b: Welche technischen USPs haben Ihre Dichtungen gegenüber den Wettbewerbsdichtungen?
Thomsen: Sie verfügen über eine Gesetzes- und Regelkonformität, minimale Emissionen – gegenüber Faserstoffdichtungen 1/1.000.000 an Emission –, eine Relaxation und keine Alterung. Hinzu kommt ein günstiger Marktpreis.
e.b: Wie würden die einzelnen Schritte der Inbetriebnahme der Dichtungen aussehen?
Thomsen: Die Inbetriebnahme erfolgt sehr einfach: Simpler Einbau, Schrauben anziehen und fertig. Und das bei einem um 30 % geringeren Montageaufwand gemessen am Einbau herkömmlicher Bauteile.
Wann einbauen? „Unverzüglich!“
e.b: In welchem Zeitrahmen könnte man nach Ihrer Einschätzung die notwendigen Dichtungen einbauen?
Thomsen: Ganz einfach: Unverzüglich!
e.b: Gibt es neben der H2-Infrastruktur weitere Szenarien bei denen Metall-Hybrid-Dichtungen eine Rolle spielen werden?
Thomsen: Ja, etwa bei der Reduzierung der CO2-, Methan- bzw. Chemiegasemissionen. Auch beim Schutz von Boden und Grundwasser oder von Mitarbeitern nach dem Arbeitsschutzgesetz spielen Metall-Hybrid-Dichtungen eine wichtige Rolle. Das gilt auch für den sicheren Betrieb von Prozessanlagen.
e.b: Letzte Frage: Wieso entwickeln Sie die Metal-Hybrid-Dichtungen als Trio gemeinsam mit Experten von Gasklar und Möller Metalldichtungen im Rahmen von The H2 Networks?
Thomsen: Ganz klar: Weil wir in diesem Umfeld die Inspiration, die Synergie und die Innovationskraft des Netzwerks nutzen können.
e.b: Herr Thomsen, vielen Dank für das Gespräch!