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„Die Diskussion über alternative Architekturen ist Gift – sie droht, den aktuellen Fortschritt auszubremsen“

Der Smart-Meter-Rollout nimmt in Deutschland Fahrt auf: „Die Standards sind stabil, die Technik steht, und die Prozesse laufen“, sagt Sören Patzack, Partner Digitalisierung und Gesellschafter bei der BET Consulting GmbH.
Der Smart-Meter-Rollout nimmt in Deutschland Fahrt auf: Die Standards sind stabil, die Technik steht, und die Prozesse laufen, sagt Sören Patzack, Partner Digitalisierung bei der BET Consulting GmbH. (Bild: © Claudia Fahlbusch)

„In der aktuellen Branchendiskussion zum Smart-Meter-Rollout werden häufig Äpfel mit Birnen verglichen“

Wie geht es weiter mit dem Smart-Meter-Rollout? Sören Patzack ist sehr optimistisch, dass das Erreichen der 20 Prozent-Quote klappen wird. Selbst bei Stadtwerken, die noch nicht begonnen haben, sieht der Partner Digitalisierung bei BET Consulting noch sehr gute Chancen. Beim Steuerungsrollout ist sein Optimismus etwas gedämpfter, Messstellenbetreiber müssen Steuern über das intelligente Messsystem nun stark priorisieren, so sein Appell. Patzack spricht im Interview mit energie.blog zudem über die neue Rolle der Bundesnetzagentur, was es mit dem Steuerboxen-Admin und der jährlichen Funktionsprüfung auf sich hat. Und welche drei Dinge Stadtwerke beim Steuerungs-Rollout nun bevorzugt angehen sollten. 

Aktuelle Situation Smart-Meter-Rollout

e.b.: Herr Patzack, die Bundesnetzagentur hat die Zahlen der verbauten intelligenten Messsysteme für das 4. Quartal 2024 veröffentlicht. Das Ergebnis: 13,91 Prozent sind schon installiert. Bis Ende des Jahres 2025 müssen es 20 Prozent sein. Das schaut doch gut aus? Es tut sich also etwas im Smart Metering?
Sören Patzack:
Ganz genau – hinter die letzte Frage gehört definitiv ein Ausrufezeichen! Der Rollout in Deutschland nimmt Fahrt auf: Die Standards sind stabil, die Technik steht, und die Prozesse laufen. Ich bin mir deswegen auch sehr sicher, dass wir im Mittel das 20 Prozent-Ziel erreichen werden.

Für das Gesamtsystem ist das eine sehr gute Nachricht: Die Durchdringung mit Beobachtbarkeit, Steuerbarkeit und dynamischen Tarifen wird stark zunehmen. Das Energiesystem wird dezentraler und sicherer, was bei der aktuellen geopolitischen Lage mehr als wichtig ist. Und bei aller Kritik am Rollout müssen wir somit unterm Strich doch ganz klar konstatieren: Die mit dem GNDEW 2023 angestrebte Beschleunigung wurde erzielt, wir sind auf dem Weg. Natürlich ist dieser noch längst nicht zu Ende, aber wir haben die richtige Richtung eingeschlagen.

Selbst wenn man aktuell bei 0 % steht, hilft es nicht, den Kopf in den Sand zu stecken.

e.b.: Bedenklicher ist jedoch, dass die kleinen Messstellenbetreiber unter 30.000 Messlokationen bisher nur 3,1 Prozent ausgerollt haben. Besteht hier noch eine Chance, die 20 Prozent zu erreichen? Und was sollten MSB jetzt machen, wenn sie noch nichts ausgerollt haben?
Sören Patzack: Bei kleineren Akteuren ist das Bild aktuell mehr als getrübt. Hier müssen sich einige noch sehr weit strecken, um das Ziel zu erreichen. Aus unserer Sicht hatte das Thema in den letzten Jahren bei vielen kleineren Stadtwerken nicht die Aufmerksamkeit, die erforderlich gewesen wäre. Das hat sich jedoch spätestens mit den Ermahnungen der Bundesnetzagentur Anfang des Jahres geändert, auch durch das regelmäßige und transparente Monitoring entsteht zusätzlicher Druck.

Selbst wenn man aktuell bei 0 % steht, hilft es aber nicht, den Kopf in den Sand zu stecken. Über interne Repriorisierung von Ressourcen, kurzfristig hinzugezogene Dienstleister (das Angebot hierfür wächst momentan massiv) oder Kooperationen besteht noch eine kleine Chance, dieses Jahr wieder auf Kurs zu kommen.

Gefahr des Auffangmessstellenbetreiber

e.b.: Die Bundesnetzagentur droht hier mit dem Auffangmessstellenbetreiber, der dann einspringt. Wie real schätzen sie diese Gefahr ein und was muss passieren, damit der Auffangmessstellenbetreiber einspringt?
Sören Patzack: Die Bundesnetzagentur hat sich in den letzten Monaten zum großen Mahner des Smart-Meter-Rollouts aufgeschwungen, es soll schneller gehen. Natürlich ist das auch die Rolle, die sie ausfüllen muss. Die schärfsten Schwerter hat sie jedoch selbst zu Verfügung: Über Pönalen wie Zwangsgelder oder Entzug der Grundzuständigkeit – etwa bei Unterschreitung der Ausstattungsverpflichtung um mehr als 25% – kann sie richtig Druck aufbauen. Und wenn sie die Botschaften, die sie in den letzten Monaten gesendet hat, wirklich ernst meint, wird sie dies auch tun.

Wir haben aus der Branche viel Lob für die analytische, differenzierte und transparente Herangehensweise erhalten. Und mit der geäußerten Kritik kommen wir auch zurecht, die gehört bei einem Gutachten dieser Tragweite dazu.

e.b.: BET hat mit E&Y mit seinem Gutachten auch dafür gesorgt, dass die Preisobergrenzen (POG) deutlich erhöht wurden. Wie zufrieden sind sie mit den neuen Preisobergrenzen und ist der Rollout jetzt wirtschaftlich? Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf beim Smart-Meter-Rollout insgesamt, was müsste noch besser/effizienter werden?
Sören Patzack: Ich würde es eher so formulieren, dass wir als Gutachter aus neutraler Sicht auf die aktuellen Preisobergrenzen geschaut und festgestellt haben, dass hier eine eindeutige und signifikante Wirtschaftlichkeitslücke existiert. Eines muss uns klar sein: Die Digitalisierung des Energiesystems spart durch Transparenz und Steuerbarkeit enorme Kosten ein – etwa durch geringeren Netzausbau. Dagegen fallen die Investitionen in Digitalisierung verhältnismäßig moderat aus. Wenn der Messstellenbetreiber aber keinen validen Business-Case hat, dann wird er nicht digitalisieren, und dann können wir Energie-, Verkehrs- und Wärmewende vergessen. Digitalisierung ist unverzichtbar, um die Kosten des Gesamtsystems zu reduzieren.

Insgesamt sind wir deswegen auch zufrieden mit der Umsetzung unserer Vorschläge. Natürlich sagen die einen, die Preisobergrenzen wären noch immer zu niedrig, und die anderen, sie wären nun zu hoch. Das ist in der Gemengelage aus verschiedenen Akteuren mit den entsprechenden wirtschaftlichen Partikularinteressen aber auch nachvollziehbar. Wir haben aus der Branche viel Lob für die analytische, differenzierte und transparente Herangehensweise erhalten. Und mit der geäußerten Kritik kommen wir auch zurecht, die gehört bei einem Gutachten dieser Tragweite dazu.

Was noch besser werden könnte: In der aktuellen Branchendiskussion zum Smart-Meter-Rollout werden häufig Äpfel mit Birnen verglichen. Der Fokus auf Steuerbarkeit (über CLS) sowie die hohen Sicherheits- und Datenschutzstandards, die Deutschland verfolgt, gibt es in dieser Form in anderen Ländern nicht. Zudem ist hierzulande kein flächendeckender Rollout vorgesehen – ein direkter Vergleich der Einbauquoten mit anderen Ländern hinkt also. Stattdessen schafft Deutschland die Grundlage für ein digitales, dezentrales, steuerbares und sicheres Energiesystem – ein zukunftssicherer Ansatz.

Vom Smart-Meter-Rollout zum Steuerungsrollout

e.b.: Der Smart-Meter-Rollout wird nun zum Steuerungsrollout. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen? Und was sollten Stadtwerke jetzt am besten tun?
Sören Patzack: Dass wir über die sichere Plattform Intelligentes Messsystem steuern, war grundsätzlich immer vorgesehen. Deswegen würde ich eher davon sprechen, dass der Steuerungsrollout nun konsequent forciert wird. Dies wird zum einen über Pflichtquoten für die steuerbare Leistung erreicht. 90% der neu installierten Leistung in den Jahren 2025 und 2026 muss bis Ende 2026 mit intelligenten Messsystemen und Steuerboxen ausgestattet werden. Dieses Ziel ist aus unserer Sicht für Messstellenbetreiber deutlich herausfordernder als das 20%-Ziel auf der Verbrauchsseite. Zwar stehen BSI-zertifizierte Technik sowie Softwarelösungen zur Verfügung, in der Praxis sind wir jedoch noch in der Hochlaufphase.

Stadtwerke sollten jetzt drei Dinge priorisieren: Erstens, schnell Erfahrungen mit größeren Stückzahlen an Steuerungseinrichtungen sammeln. Zweitens, sich für ein CLS-Management entscheiden – oder einen Dienstleister beauftragen. Drittens, massentaugliche Prozesse für den Rollout der Steuertechnik aufsetzen.

Idee der jährlichen Funktionsprüfung ist es, zu prüfen, ob die Steuerung in der Praxis tatsächlich funktioniert.

e.b.: Mit den Steuerboxen kommt jetzt auch die Rolle des Steuerboxen-Admins dazu. Was hat es denn damit auf sich?
Sören Patzack: Was der Gateway-Administrator für das Smart-Meter-Gateway ist, ist der Steuerbox-Administrator für die Steuerbox. Diese Rolle wird softwareseitig über das CLS-Management umgesetzt. Hierrüber werden Stammdaten-, Management- und Konfigurationsprozesse abgewickelt. Der Steuerbox-Administrator erhält die Steuerbefehle von verschiedenen Marktakteuren wie Netzbetreiber, Direktvermarkter, Lieferant oder Aggregatoren über die standardisierte Marktkommunikation. Und er muss zusätzliche Kommunikationsschnittstellen für kurzfristige Steuersignale bedienen, die sogenannte BDEW-Web-API.

e.b.: Was hat es mit der jährlichen Funktionsprüfung der Bundesnetzagentur auf sich und was bedeutet das für Messstellenbetreiber?
Sören Patzack: In die Ende-zu-Ende-Steuerkette sind verschiedene Akteure, Systeme und Komponenten eingebunden. Idee der Tests ist es, zu prüfen, ob die Steuerung in der Praxis tatsächlich funktioniert. Hier hat man aus der Vergangenheit gelernt. Bei der Umsetzung von ersten Redispatch 2.0-Maßnahmen fiel auf, dass die verbaute Technik teilweise die Steuersignale nicht umsetzt – insbesondere bei Funkrundsteuerempfängern. Hier liegt übrigens ein großer Vorteil der Steuerung über das intelligente Messsystem. Über die Bidirektionalität kann geprüft werden, ob Steuerbefehle umgesetzt wurden.

Deswegen müssen nun Verteilnetzbetreiber und Messstellenbetreiber sicherstellen, dass ihr Teil der Steuerungskette funktioniert. Die Ergebnisse werden durch die Übertragungsnetzbetreiber eingesammelt und einmal im Jahr veröffentlicht. Der erste Bericht Ende 2025 wird aus meiner Sicht einige Versäumnisse der Vergangenheit aufzeigen. Einige Netzbetreiber werden zeitnah Technik nachrüsten müssen.

Weiterentwicklung Smart-Meter-Rollout

e.b.: Wie wird sich der Smart-Meter-Rollout die nächsten fünf Jahre entwickeln und wann dürfen wir das nächste Gutachten/Monitoring erwarten?
Sören Patzack: Ich bin optimistisch: Ich glaube, dass wir das 20%-Ziel im Mittel dieses Jahr erreichen, und wir in den nächsten Jahren über 2 Millionen intelligente Messsysteme je Jahr in die Netze bekommen. Beim Steuerungsrollout ist mein Optimismus etwas gedämpfter, Messstellenbetreiber müssen Steuern über das intelligente Messsystem nun stark priorisieren.

Das größte Risiko für den Erfolg: Wir können uns keine Unsicherheit bei den Rahmenbedingungen mehr leisten. Die Diskussion über alternative Architekturen ist aus meiner Sicht Gift – sie droht, den aktuellen Fortschritt auszubremsen. Ja, wir als Branche sind zu spät losgelaufen– aber jetzt laufen wir, werden monatlich schneller, und die gesteckten Ziele sind in Sichtweite. Der Rollout wird das Gesamtsystem deutlich günstiger machen.

Auf die Frage nach dem nächsten Gutachten möchte ich ganz neutral mit einem Blick ins Gesetz antworten: § 48 MsbG definiert, dass mindestens alle 4 Jahre Bericht durch das Bundeswirtschaftsministerium zu erstatten ist. Bis dahin wird der Rollout sehr, sehr viel weiter sein.

 

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