Dienstleistungsmodell für Redispatch 2.0
Redispatch 2.0 verlangt Netzbetreibern viel ab. Die Stadtwerke Rosenheim haben früh reagiert und ein Dienstleistungsmodell aufgebaut, das heute von über 30 Partnern genutzt wird – von den Stammdaten über die Prognosen bis zur Abrechnung. Grundlage dafür ist die Software von IT-Anbieter KISTERS.
Die Zahl der Eingriffe ins Stromnetz steigt rasant. Allein im ersten Halbjahr 2025 gab es doppelt so viele Maßnahmen wie im gesamten Jahr 2024. Für viele Netzbetreiber ist die Umsetzung von Redispatch 2.0 damit zur Daueraufgabe geworden. Die Stadtwerke Rosenheim haben sich früh auf diese Entwicklung eingestellt. Sie übernehmen heute die Abwicklung der Prozesse für mehr als 30 Netzbetreiber in ganz Deutschland auf Basis einer IT-Lösung des Aachener Softwarehauses KISTERS.
Komplexe Prozesse mit vielen Beteiligten
Seit Oktober 2021 müssen Netzbetreiber auch kleinere Anlagen ab 100 Kilowatt in die Engpassbewirtschaftung einbeziehen. Das Verfahren ist unter dem Namen Redispatch 2.0 bekannt. Ziel ist es, Netzengpässe durch gezieltes Hoch- oder Herunterfahren von Erzeugern oder steuerbaren Verbrauchern zu vermeiden.
„Das klingt zunächst simpel, ist aber in der Umsetzung sehr komplex, weil so viele Marktrollen beteiligt sind“, erklärt Florian Lippert, Leiter Redispatch bei den Stadtwerken Rosenheim. Netzbetreiber, Einsatzverantwortliche, Betreiber technischer Ressourcen, Lieferanten, Direktvermarkter und Bilanzkreisverantwortliche müssen eng zusammenarbeiten. Dafür braucht es eine durchgängige Prozesskette und eine zuverlässige IT-Unterstützung.
Von vereinzelten Maßnahmen zur Massenabwicklung
Die Dynamik zeigt sich in den Zahlen. 2022 und 2023 wurden im System der Stadtwerke Rosenheim jeweils rund 100 Maßnahmen umgesetzt. 2024 kam es zu einer Verzwanzigfachung. „In der ersten Jahreshälfte 2025 hatten wir bereits doppelt so viele Maßnahmen wie im gesamten Jahr 2024“, sagt Lippert.
Dabei sind die Unterschiede zwischen den Netzgebieten groß. Manche Verteilnetzbetreiber kommen ohne Eingriffe aus, andere müssen täglich Maßnahmen umsetzen. Auffällig sei, dass seit 2024 immer mehr Verteilnetze in Abschaltungen einbezogen würden, ergänzt er.
Dienstleistung mit KISTERS-Software
Für die Umsetzung setzen die Rosenheimer auf eine IT-Lösung von KISTERS. Die Software bildet die komplette Prozesskette des Redispatch 2.0 ab. Sie läuft mandantenfähig in der Cloud und erlaubt es, für jede Marktrolle eigene Zugänge und Oberflächen bereitzustellen. „Wir haben bereits beim Aufbau unseres virtuellen Kraftwerks gut zusammengearbeitet. Daher lag es nahe, auch beim Redispatch gemeinsam vorzugehen“, sagt Gilbert Vogler, Abteilungsleiter Energievermarktung bei den Stadtwerken Rosenheim.
Energievermarktung bei den Stadtwerken Rosenheim.
Aus dieser Kooperation entstand ein Dienstleistungsmodell, das heute Netzbetreiber, Einsatzverantwortliche, Lieferanten und Betreiber technischer Ressourcen nutzen. Mandantenfähigkeit, Schnittstellenvielfalt und standardisierte Prozesse sind dabei entscheidend. Jeder Kunde hat eigene Zugänge und Oberflächen, alle Schritte von der Stammdatenerfassung über Prognosen und Abrufe bis hin zu Bilanzierung und Abrechnung laufen hochautomatisiert.
Regionale Unterschiede und pragmatische Lösungen
In der Praxis weichen die Prozesse nicht selten von der Norm ab. „Einige vorgelagerte Netzbetreiber rufen Maßnahmen noch telefonisch oder per E-Mail ab, statt über die vorgesehene Marktkommunikation via Connect+“, berichtet Lippert. Um solche Abrufe dennoch prozesskonform weiterzuverarbeiten, haben die Rosenheimer gemeinsam mit KISTERS einen Abrufgenerator entwickelt. Damit lassen sich Abrufe außerhalb der vorgesehenen Regelprozesse digital erfassen und somit doch noch in die Prozesskette zurückführen.
Automatisierung und Schnittstellen
Wesentlich für die Massenabwicklung ist ein hoher Automatisierungsgrad. REST-API-Schnittstellen verbinden das Redispatch-System mit den Energiedatenmanagement- und Abrechnungssystemen der Netzbetreiber. Auch Nichtverfügbarkeiten von Anlagen können automatisiert gemeldet werden. Viele der Schnittstellen wurden bereits von KISTERS entwickelt und in der Cloud-Lösung erprobt. So lassen sich neue Mandanten vergleichsweise schnell integrieren. „Je besser die Datenqualität, desto weniger manueller Aufwand ist nötig“, betont Lippert.
Die Stadtwerke profitieren dabei unter anderem von ihrer Erfahrung als Direktvermarkter. Im virtuellen Kraftwerk sind über 1000 Anlagen gebündelt, die für den Markt gesteuert werden. Vorhandene Kommunikationswege zwischen Direktvermarktung und Netzbetrieb können so auch für Redispatch genutzt werden.
Sicherheit und Cloud-Betrieb
Als kritische Infrastruktur müssen Netzbetreiber hohe IT-Sicherheitsstandards erfüllen. Viele kleinere Versorger stehen hier vor Herausforderungen. Das Angebot der Stadtwerke Rosenheim schließt diese Lücke. Die Software wird in der KISTERScloud betrieben, zertifiziert nach ISO 27001 und Sicherheitskatalog. Updates und Überwachung erfolgen zentral. „So können wir uns stärker auf die Qualität der Prozesse konzentrieren und gleichzeitig in der Weiterentwicklung der Software mitwirken“, erläutert Lippert.
Ausblick: Flexibilitätsmanagement und §14a EnWG
Die Anforderungen an Redispatch 2.0 entwickeln sich stetig weiter. Clusterabrufe, Kostenblätter und die Abwicklung eigener Maßnahmen stehen als nächste Schritte an. Parallel bereiten sich die Stadtwerke Rosenheim auf neue Vorgaben aus §14a EnWG vor. Künftig müssen Verteilnetzbetreiber steuerbare Verbrauchseinrichtungen wie Wärmepumpen oder Ladepunkte anschließen und im Bedarfsfall dimmen können.
„Es ist sinnvoll, Flexibilitätsmanagement und Redispatch im Zusammenspiel zu betrachten“, so Lippert. Die Integration soll auch Post-EEG-Anlagen und dynamische Tarife berücksichtigen. Dafür braucht es eine ausreichend dichte Smart-Meter-Infrastruktur, die Daten in Echtzeit liefert und Schaltungen über Controllable Local Systems ermöglicht.
Fazit
Die Erfahrungen der Stadtwerke Rosenheim zeigen, wie Redispatch 2.0 als Dienstleistung funktionieren kann. Frühzeitige Kooperation, mandantenfähige IT und ein hoher Automatisierungsgrad bilden die Basis. Mit Blick auf die wachsende Zahl an Maßnahmen wird die Rolle spezialisierter Dienstleister weiter zunehmen.
„Letztlich ist es am effizientesten, wenn alle Beteiligten auf einer gemeinsamen Plattform arbeiten, die auf ihre Rolle zugeschnitten ist“, betont Vogler. Angesichts der steigenden Eingriffe im Stromnetz ist dieser Weg für viele Netzbetreiber wohl alternativlos.
Stadtwerke Rosenheim
Die Stadtwerke Rosenheim betreiben ein virtuelles Kraftwerk mit mehr als 1000 Anlagen und setzen seit 2021 Redispatch 2.0 für inzwischen über 30 Netzbetreiber um. Neben Netzbetreibern zählen auch Einsatzverantwortliche, Lieferanten und Direktvermarkter zu den Mandanten.
Redispatch 2.0
Seit 2021 sind Netzbetreiber verpflichtet, auch kleinere Erzeugungsanlagen ab 100 kW in die Engpassbewirtschaftung einzubeziehen. Redispatch 2.0 soll Netzüberlastungen verhindern, indem Erzeugung und Speicher planungsdatenbasiert, maßnahmeneffizient und zu möglichst niedrigen Kosten angepasst werden. Das Verfahren gilt als komplex, da viele Marktrollen beteiligt sind, viele Parameter den Prozess beeinflussen und zahlreiche Schnittstellen zusammenwirken müssen.