„Mit dem auslaufenden Support enden auch die Sicherheitsgarantien der Anbieter und spätestens dann wird es gefährlich“
Von der Digitalisierung versprechen sich Politik und Wirtschaft wichtige Impulse für die Zukunft. Der bayerische Staatsminister für Digitalisierung, Dr. Fabian Mehring, hat im letzten Jahr die Digitalisierung zum Gamechanger des Energiesektors erklärt, und Dr. Karsten Wildberger, Bundesminister für Digitalisierung und Staatsmodernisierung, kündigt an, dass der Staat den Einsatz von KI in der Wirtschaft unterstützen wolle. Wie aber sieht es vor Ort in den Unternehmen aus? Den aktuellen Digitalisierungs-Status-Quo in den Utilities-Unternehmen haben jetzt Natuvion und Adesso untersucht. Im Interview mit dem energie.blog beschreibt Holger Strotmann, CEO von Natuvion, mit welchen Herausforderungen die Unternehmen aktuell kämpfen, warum eine gute Projektvorbereitung so essenziell ist und welche Rolle der Mensch bei der digitalen Transformation spielt.
Aktueller Digitalisierungs-Status-Quo
e.b: Herr Strotmann, was ist aus Ihrer Sicht die wichtigste Erkenntnis Ihrer Untersuchung?
Holger Strotmann: Der große Druck, unter dem die Unternehmen der Versorgungswirtschaft stehen. Mein Eindruck ist, die digitale Transformation wird eher als Reaktion auf die massiven Veränderungen in Wirtschaft, Gesellschaft und Technologie gesehen, denn als Innovationsprojekt. 40 Prozent der Utilities-Unternehmen haben Angst, dass sie zukünftig nur noch eingeschränkt reaktionsfähig sind, wenn sie nicht digitalisieren und 37 Prozent sehen sich einem steigenden Entscheidungsdruck ausgesetzt. Hinzu kommt, dass in den nächsten Monaten bzw. Jahren nach und nach der Support veralteter Systeme ausläuft, beispielsweise von SAP ECC oder verschiedenen Microsoft Office-Anwendungen. Da bleibt den Verantwortlichen gar keine andere Wahl – sie müssen ihre Systeme und Prozesse transformieren. Das ist existenziell. Denn mit dem auslaufenden Support enden auch die Sicherheitsgarantien der Anbieter und spätestens dann wird es gefährlich.
„Die Systemlandschaften sind heute so umfangreich und unübersichtlich, dass Transformationsprojekte helfen zu verstehen, welche Tools und Funktionen wo und warum eingesetzt werden.“
e.b: In Ihrer Studie nennen 44 Prozent die Verbesserung des Kundenservices und 39 Prozent den Verlust ihrer Wettbewerbsfähigkeit als Grund für ihre Transformation. Transparenz und Ganzheitlichkeit scheinen in diesem Kontext eine wichtige Rolle zu spielen.
Holger Strotmann: Das stimmt. Es geht bei der Transformation nicht nur darum, das nächste technologische Level zu erreichen, sondern vielmehr darum, das Zusammenspiel von Menschen, Systemen und Prozessen zu optimieren. Davon versprechen sich die Verantwortlichen eine bessere Steuerbarkeit ihres Unternehmens und eine größere Innovationskraft. Die Systemlandschaften sind heute so umfangreich und unübersichtlich, dass Transformationsprojekte helfen zu verstehen, welche Tools und Funktionen wo und warum eingesetzt werden. 42,7 Prozent haben in der Studie bestätigt, dass es ihnen gelungen ist, mit der Transformation ihre Transparenz zu steigern und dass das einer ihrer größten Erfolge ist – nicht zuletzt deshalb, weil sie so Probleme frühzeitig erkennen und ihnen entgegenwirken können.
Neue Erkenntnisse aus der Studie
e.b: Apropos Probleme. Immer wieder liest man, dass die Vorbereitung einer Transformation besonders wichtig sei. Hat Ihre Studie dazu neue Erkenntnisse gewonnen?
Holger Strotmann: Natürlich ist es wichtig, rechtzeitig zu definieren, welche Ziele verfolgt und welche Rahmenbedingungen eingehalten werden müssen. Klar ist auch, dass ein so großes Projekt wie eine digitale Transformation ein sehr guter Anlass ist, um auszumisten – sei das hinsichtlich unproduktiver Prozesse oder überflüssiger Daten. Und genau das wird während der Vorbereitungsphase geleistet. In der Befragung haben 37,5 Prozent der Unternehmen gesagt, dass sie nur Teile ihrer Systeme und Daten auf die neue Plattform umgezogen haben. Über 80 Prozent haben die Migration zudem zum Anlass genommen, verstärkt auf Clouddienste zu setzen. Aber ich würde gerne noch etwas anmerken, was unsere Erkenntnisse zum Change-Management betrifft.
„42 Prozent der Utilities-Unternehmen wünschen sich, Entscheidungsträger frühzeitiger zu involvieren – das gilt sowohl für Stakeholder wie auch Mitarbeiter. 36,6 Prozent haben sogar konkret gefordert, zukünftige Change-Prozesse besser zu gestalten. Schon allein das zeigt, wie wichtig die interne Unterstützung ist und es macht klar, dass der Erfolg eines Projekts davon abhängt, ob es proaktiv geführt und nicht nur einfach umgesetzt wird.“
e.b: Sehr gerne. Wir wissen ja alle, wie schwierig es ist, sich tagtäglich dieser Vielzahl an Veränderungen zu stellen.
Holger Strotmann: Genau, und deshalb ist es umso wichtiger eine Transformation nicht zu technologiezentriert zu betrachten, sondern sich immer wieder zu vergegenwärtigen, dass es die Menschen sind, die schlussendlich von den Neuerungen profitieren sollen. Das belegen auch unsere Zahlen. Demnach wünschen sich 42 Prozent der Utilities-Unternehmen, Entscheidungsträger frühzeitiger zu involvieren – das gilt sowohl für Stakeholder wie auch Mitarbeiter. 36,6 Prozent haben sogar konkret gefordert, zukünftige Change-Prozesse besser zu gestalten. Schon allein das zeigt, wie wichtig die interne Unterstützung ist und es macht klar, dass der Erfolg eines Projekts davon abhängt, ob es proaktiv geführt und nicht nur einfach umgesetzt wird. Gerade vor dem Hintergrund komplexer Unternehmensstrukturen und einer oft mangelnden Veränderungsbereitschaft spielt die Akzeptanz und Unterstützung eine wichtige Rolle.
Testmanagement, ein wichtiger Aspekt bei Transformationen
„Das ist in der Tat eine Besonderheit im Energiesektor, denn in anderen Branchen ist das Testen oft nur eine Randnotiz. Das liegt vermutlich an den extrem komplexen Systemlandschaften, dem regulatorischen Druck und nicht zuletzt den hohen Sicherheitsanforderungen dieser Branche.“
e.b: Gibt es denn noch andere Aspekte, die unterschätzt werden?
Holger Strotmann: Ja und zwar das Testmanagement. Das hört sich zwar trivial an, ist aber wesentlich erfolgskritischer als man denkt. 36,6 Prozent der Utilities-Unternehmen haben uns gesagt, dass das Testmanagement ihr wichtigster Erfolgsfaktor ist – noch vor dem Management-Commitment und dem Transformations-Know-how. Das ist in der Tat eine Besonderheit im Energiesektor, denn in anderen Branchen ist das Testen oft nur eine Randnotiz. Das liegt vermutlich an den extrem komplexen Systemlandschaften, dem regulatorischen Druck und nicht zuletzt den hohen Sicherheitsanforderungen dieser Branche. Hier können sich schon kleinste Ungenauigkeiten fatal auswirken. Deshalb ist es so wichtig, dass in der kritischen Cut-over-Phase, also wenn der konkrete Wechsel vom alten auf das neue System stattfindet, alles möglichst reibungslos verläuft.
e.b: Und wenn nicht? Sind dann Zeitpläne oder vielleicht auch Budgets gefährdet?
Holger Strotmann: Ich vermute im schlimmsten Fall schon, auch wenn sich aus unseren Ergebnissen keine konkreten Abhängigkeiten ableiten lassen. Unsere Studie bestätigt aber, dass ein Cut-Over von zwei Tagen im Energiesektor üblich zu sein scheint, denn 90,3 Prozent haben angegeben, maximal zwei Tage benötigt zu haben. Es gab jedoch auch 9,5 Prozent, die drei Tage benötigt haben. Noch ein Satz zu den migrationsbedingten Betriebsunterbrechungen: Für das Gros, 59,5 Prozent, war maximal ein Arbeitstag tolerierbar.
KI in der Energiewirtschaft
e.b: Abschließend noch eine Frage zum Thema KI: Konnten Sie hier neue Erkenntnisse sammeln?
Holger Strotmann: 37,9 Prozent haben künstliche Intelligenz als Treiber der Transformation genannt. Aber für 97 Prozent war der Datenschutz das Thema, dass die digitale Transformation am meisten getrieben hat. Ich schließe daraus, dass KI im Utilities-Sektor aktuell eher noch ein Add-On ist, aber ich bin mir sicher, dass sie zügig an Bedeutung gewinnen wird. Vor diesem Hintergrund sollte der Datenmigration und der Qualitätssteigerung historische Daten besonders viel Aufmerksamkeit gewidmet werden, denn sie sind der Grundpfeiler für den Erfolg zukünftiger KI-Anwendungen.
e.b: Herr Strotmann, wir danken Ihnen für diese interessanten Einblicke.