„Es gilt, pragmatisch zu starten, anstatt auf die perfekte Lösung zu warten“
Die Energiewende in Deutschland läuft auf Hochtouren und erzeugt dabei ein Spannungsfeld, das die gesamte Branche beschäftigt: Rekordwerte bei der Einspeisung aus erneuerbaren Energien stehen Netzengpässen und steigenden Kosten für das Redispatch gegenüber. Die Frage, die sich daraus ergibt, ist fundamental: Brauchen wir vor allem mehr „Kupfer in der Erde“ oder mehr „Intelligenz im System“? Wir haben darüber mit zwei prominenten Stimmen der kommunalen Energiewirtschaft gesprochen: Daniel Waschow, Vorstand der Stadtwerke Osnabrück, und Sebastian Jurczyk, Geschäftsführer der Stadtwerke Münster.
Nächste Phase der Energiewende
e.b: Herr Waschow, Herr Jurczyk, die Energiewende feiert Rekorde bei der Erzeugung aus erneuerbaren Energien. Gleichzeitig hören wir von negativen Strompreisen und steigenden Kosten für die Abregelung von Wind- und Solaranlagen. Wie passt das zusammen und welche neue, vielleicht auch herausfordernde Phase der Energiewende bricht damit für Stadtwerke an?
Daniel Waschow: Sie sprechen den zentralen Widerspruch an, der unsere Branche gerade umtreibt und der die nächste Phase der Energiewende definiert. Einerseits ist es ein riesiger Erfolg: Wir haben mehr grünen Strom im Netz als je zuvor. Andererseits zahlen wir Rekordsummen, um Windräder stillzulegen, weil die Netze den Strom nicht transportieren können. Wir treten jetzt in die Phase der ‚intelligenten Orchestrierung‘ ein. ‚Kupfer in die Erde‘ zu bringen, ist zu langsam, zu teuer und löst das Problem der Gleichzeitigkeit von Erzeugung und Verbrauch nicht. Unsere Aufgabe als Stadtwerke ist es jetzt, die Sektoren Strom, Wärme und Mobilität smart zu koppeln.
Der entscheidende Hebel ist die Intelligenz, die wir in die Systeme bringen. Statt pauschal zu verstärken, nutzen wir Smart Meter und die daraus gewonnenen Daten, um gezielt dort zu investieren, wo es wirklich nötig ist. Notwendig ist dabei allerdings auch, dass sich die Rahmenbedingungen mitentwickeln. Wir müssen beispielsweise dringend darüber sprechen, wie wir netzdienliche Speicher in der Regulierung anerkannt bekommen.
Sebastian Jurczyk: Daniel Waschow bringt es auf den Punkt. Digitale Werkzeuge wie die Steuerung nach §14a EnWG oder dynamische Tarife sind essenzielle Instrumente, um Lasten zu verschieben und teure Spitzen zu kappen. Intelligenz macht den notwendigen Netzausbau also nicht überflüssig, sie macht ihn smarter, schlanker und wirtschaftlicher. Ich möchte den Aspekt der Daten und der Akzeptanz noch stärker hervorheben. ‚Smart‘ bedeutet für uns vor allem, datengetrieben zu agieren. Erst durch den flächendeckenden Rollout von intelligenten Messsystemen erhalten wir die Transparenz über die tatsächlichen Zustände in der Niederspannung.
Diese Netzzustandsdaten sind der Schlüssel, um unser Netz nicht nur zu betreiben, sondern aktiv zu managen. Und das hat eine zweite, ebenso wichtige Komponente: Wir binden die Menschen vor Ort stärker mit ein. Ein Smart Meter, gekoppelt mit einem dynamischen Tarif, macht den Stromverbrauch greifbar und schafft Anreize, das eigene Verhalten anzupassen. Der Kunde wird vom passiven Verbraucher zum aktiven Prosumer, der aus eigenem Antrieb netzdienlich agiert. Diese Partizipation ist für die Akzeptanz der Energiewende vor Ort unerlässlich.
Rolle der Stadtwerke bei der Energiewende
„Kein anonymer Konzern kann die kommunale Wärmeplanung, den Aufbau von Ladeinfrastruktur oder die Integration eines neuen Gewerbegebiets so passgenau und bürgernah umsetzen wie wir. Wir sind diejenigen, die aus abstrakten politischen Zielen konkrete, funktionierende Projekte machen, die das Leben der Menschen direkt verbessern.“
e.b: Die Energiewende wird zwar national beschlossen, aber lokal umgesetzt. Welche einzigartige Rolle spielen Stadtwerke wie die in Münster und Osnabrück dabei, diese Mammutaufgabe vor Ort zu meistern, wo die Herausforderungen von der Wärmewende bis zur Ladeinfrastruktur reichen?
Sebastian Jurczyk: Genau hier liegt unsere größte Stärke. Wir sind der ‚Kümmerer vor Ort‘. Wir kennen die lokalen Gegebenheiten, die spezifischen Herausforderungen in den einzelnen Stadtteilen und vor allem genießen wir das Vertrauen der Menschen. Aber es gilt auch, das Vertrauen zu erhalten oder zurückzugewinnen. Kein anonymer Konzern kann die kommunale Wärmeplanung, den Aufbau von Ladeinfrastruktur oder die Integration eines neuen Gewerbegebiets so passgenau und bürgernah umsetzen wie wir. Wir sind diejenigen, die aus abstrakten politischen Zielen konkrete, funktionierende Projekte machen, die das Leben der Menschen direkt verbessern. Diese lokale Verankerung ist unsere Daseinsberechtigung und unser entscheidender Vorteil.
Daniel Waschow: Und weil diese Aufgabe so komplex ist, wäre es für jedes einzelne Stadtwerk eine Überforderung, das Rad immer wieder neu zu erfinden. Hier kommt die Kooperation als zweiter entscheidender Erfolgsfaktor ins Spiel. Unsere Zusammenarbeit, wie wir sie beispielsweise mit smartOPTIMO leben, ist die logische Konsequenz. Wir bündeln unsere Kräfte, teilen Investitionen in komplexe IT-Systeme, entwickeln gemeinsam Prozesse für den Smart-Meter-Rollout und lernen voneinander. Das ist Effizienz und Stärke durch Vernetzung. So können wir uns auf unsere Kernkompetenz konzentrieren: die Umsetzung vor Ort.
Gerade beim Thema Wärmewende zeigt sich, wie entscheidend der kontinuierliche Dialog mit allen gesellschaftlichen Gruppen ist. Die Akzeptanz in der Bevölkerung bildet das Fundament für das Gelingen der Transformation – Lösungen müssen bezahlbar und an den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet sein. Es gilt, pragmatisch zu starten, anstatt auf die perfekte Lösung zu warten, und dabei verschiedene Ansätze parallel zu verfolgen.
Blick in die Zukunft
„Wir arbeiten in der vielleicht spannendsten Branche überhaupt. Weil wir nicht nur über die Zukunft reden, sondern sie jeden Tag bauen.“
e.b: Wenn Sie zehn Jahre in die Zukunft blicken: Was ist Ihre gemeinsame Vision für die Rolle kommunaler Energieversorger? Werden Stadtwerke im digitalen Zeitalter zu reinen Infrastrukturbetreibern oder sehen Sie eine aktivere Rolle als Gestalter und „Steuerzentrale“ der lokalen Energiewende?
Daniel Waschow: Energiewende findet lokal statt. Unsere Vision ist daher klar: Wir sind der Gestalter der Energiewende vor Ort. Wir werden weit mehr sein als reine Infrastrukturbetreiber, aber Infrastruktur ist das Backbone. Durch die Digitalisierung und die intelligente Verknüpfung der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität werden wir zu aktiven Energiemanagern für unsere Städte und Gemeinden. Wir orchestrieren die dezentralen Erzeuger, die steuerbaren Lasten und die Speicher und sorgen so für ein stabiles und effizientes Gesamtsystem. Die Zukunft liegt in einem starken Netzwerk kommunaler Unternehmen, die ihre lokale Stärke mit gemeinsamer Innovationskraft verbinden.
Sebastian Jurczyk: Absolut. Wir haben die einmalige Chance, die Zukunft unserer Städte aktiv zu gestalten und den Menschen zu zeigen, dass die Energiewende funktioniert und einen Mehrwert bringt. Unsere Daseinsberechtigung liegt darin, die Lebensqualität vor Ort zu sichern und zu verbessern. Das ist ein unglaublich sinnstiftender Auftrag. Wir arbeiten in der vielleicht spannendsten Branche überhaupt. Weil wir nicht nur über die Zukunft reden, sondern sie jeden Tag bauen. Diese positive Vision und den Purpose unserer Arbeit zu vermitteln, ist eine unserer wichtigsten Aufgaben für die kommenden Jahre.
Die enge Zusammenarbeit der Stadtwerke Münster und Osnabrück ist ein Beispiel für diesen zukunftsweisenden Weg. Zum ersten Mal werden beide Geschäftsführer, Sebastian Jurczyk und Daniel Waschow, gemeinsam eine Keynote zu diesem Thema halten. Wer die beiden live im Dialog erleben möchte, hat dazu die Gelegenheit am 10. September 2025 beim Forum Netz & Vertrieb von smartOPTIMO in Osnabrück.
Link zur Veranstaltung: https://forum.smartoptimo.de/