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„Die Bundesnetzagentur muss beim Smart-Meter-Rollout und beim Lieferantenwechsel eine aktivere Rolle einnehmen“

Bundesnetzagentur am Zug:
Bundesnetzagentur am Zug: "Wir sehen in dem aktuellen Referentenentwurf zwei zentrale Probleme", sagt Bastian Gierull, CEO von Octopus Energy Germany. (Bild: © Felix Zimmermann/Octopus Energy Germany)

„Es sind häufig Netzbetreiber, die Prozesse blockieren oder verlangsamen“

Bastian Gierull, CEO von Octopus Energy Germany, sieht im geplanten EnWG-Entwurf einen Systemfehler: Messstellenbetreiber sollen für Probleme haften, die sie oft gar nicht selbst verursachen. Ob verzögerte Rückmeldungen, nicht umgestellte 15-Minuten-Bilanzierung oder instabile Netze – viele Prozesse würden durch Netzbetreiber ausgebremst. Kritisch sieht der Deutschland-Chef von Octopus zudem eine mögliche Einschränkung von internetbasierter Steuerungslösungen im EnWG-Entwurf. Das hätte massive Auswirkungen auf die E-Mobilität. Beim 24-Stunden-Lieferantenwechsel hapert es ebenfalls. Tausende Kundinnen und Kunden stecken Gierull zufolge in Wechselprozessen fest. Der CEO fordert deshalb im energie.blog-Interview klare Vorgaben, zentrale Register und ein aktives Eingreifen der Bundesnetzagentur.

Entwurf EnWG-Novelle

e.b: Herr Gierull, aktuell entsteht eine Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes. Wie bewerten Sie den derzeitigen Entwurf?
Bastian Gierull:
Wir sehen in dem aktuellen Referentenentwurf zwei zentrale Probleme: Das unmittelbarere betrifft die geplante Einführung von Pönalen. Alle Messstellenbetreiber – nicht nur die wettbewerblichen – sollen künftig Strafzahlungen leisten, wenn Daten unvollständig oder verspätet geliefert werden. Ziel ist es zwar, die Datenqualität zu verbessern, aber ein Euro pro Tag und Messstelle ist aus unserer Sicht völlig unverhältnismäßig. Diese Pönale kann schnell existenzbedrohende Ausmaße annehmen. Vor allem, wenn es zu größeren Störungen kommt.

Denn der Messstellenbetreiber soll für Fehler haften, die er nicht zwangsläufig verursacht hat. In vielen Fällen liegt die Ursache außerhalb unseres Einflussbereichs. Wir sind beispielsweise auf IT-Dienstleister angewiesen. Wenn dort Fehler passieren, fällt das trotzdem auf uns zurück. Ein anderes Beispiel: In manchen Regionen funktioniert das Mobilfunknetz nicht zuverlässig. Auch das liegt nicht in unserer Hand. Oder es kommt zu Problemen, weil jemand am Zählerschrank hantiert oder der Kunde eigenmächtig ein LAN-Kabel entfernt. Solche technischen Störungen können ebenfalls zur Pönale führen.

Für uns ist das nicht nur wirtschaftlich riskant, sondern auch systemisch falsch aufgesetzt. Die einzige Möglichkeit, um sich davor zu schützen, wäre der massive Aufbau von Redundanzen und zusätzlichen Sicherheitsniveaus. Das würde wiederum die ohnehin schon hohen Kosten im Messstellenbetrieb weiter steigern.

e.b: Was müsste sich am System ändern?
Bastian Gierull: Aus unserer Sicht liegt der Fehler im Grundkonzept. Es sind häufig Netzbetreiber, die Prozesse blockieren oder verlangsamen. Zum Beispiel indem sie notwendige Verträge nicht unterzeichnen. Ohne diese Rahmenverträge können wir als wettbewerblicher Messstellenbetreiber in bestimmten Netzgebieten schlicht nicht installieren. Aktuell sind das über 150 Fälle, in denen keine Rückmeldung erfolgt.

Ein weiteres Beispiel: Damit ein Smart Meter richtig funktioniert, muss der Netzbetreiber auf eine 15-Minuten-Bilanzierung umstellen. Einige tun das schlicht nicht. Der Smart Meter hängt dann zwar an der Wand, kann aber keine neuen Tarife ermöglichen. Teilweise werden sogar kurzfristig Installationstermine abgesagt. Momentan erleben wir, dass seit der letzten Formatanpassung am 6. Juni, die Netzbetreiber pauschal unsere Installationsangebote mit Verweis auf Softwareprobleme ablehnen. Wir haben dann keine Handhabe, obwohl wir unserer Pflicht nachkommen wollen.

Vor diesem Hintergrund ist es für uns nur schwer nachvollziehbar, dass ausgerechnet Messstellenbetreiber sanktioniert werden sollen – obwohl viele der zentralen Probleme auf Netzbetreiberseite liegen.

„Zunächst einmal müsste die Bundesnetzagentur hier eine aktivere Rolle übernehmen. Wenn Netzbetreiber Prozesse blockieren, sollten diese Verstöße konsequent verfolgt werden.”

e.b: Wie würde eine konkrete Lösung aussehen?
Bastian Gierull: Zunächst einmal müsste die Bundesnetzagentur hier eine aktivere Rolle übernehmen. Wenn Netzbetreiber Prozesse blockieren, sollten diese Verstöße konsequent verfolgt werden.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob unser fragmentiertes Marktsystem überhaupt noch zeitgemäß ist. Jeder kommuniziert mit jedem. Das ist extrem aufwendig und fehleranfällig. Gerade kleinere Stadtwerke stoßen an ihre Grenzen. Deshalb plädieren wir für mehr Zentralisierung: einheitliche Datenplattformen, sogenannte Data Hubs, könnten viele Prozesse vereinfachen.

In Großbritannien gibt es mit der „Data Communications Company“ bereits ein funktionierendes Modell. Dort wird die Marktkommunikation zentral abgewickelt. Und das mit deutlich weniger Reibungsverlusten als in Deutschland. Wir sehen darin einen sinnvollen Weg, um aus dem derzeitigen Digitalisierungsdilemma herauszukommen.

Bundesnetzagentur und BSI sollen entscheiden, welche Daten übers Smart-Meter-Gateway laufen

e.b: Sie haben vorhin erwähnt, es gibt zwei Probleme beim Entwurf der EnWG-Novelle, zum einen die Pönalen, wo hakt es noch?
Bastian Gierull: Aktuell ist es so, dass wir, wie alle anderen Marktteilnehmer, mit Geräten wie Elektroautos, Wärmepumpen oder Speichern über das Internet kommunizieren dürfen. In unserem Fall etwa funktioniert das so: Die Kraken -Cloud ist mit der Tesla-Cloud verbunden. Wenn ein Kunde unseren Smart-Charging-Tarif bucht, gibt er über eine App zum Beispiel ein, dass sein Auto bis 7 Uhr morgens zu 70 Prozent geladen sein soll. Unsere Systeme berechnen dann, wann das Laden sinnvoll ist, abhängig vom Strompreis, und senden entsprechende Signale ans Auto. Diese Kommunikation läuft aktuell nicht über das intelligente Messsystem, sondern über Internet-Schnittstellen. Das ist rechtlich zulässig.

Im neuen Gesetzentwurf haben wir aber einen problematischen Passus entdeckt: Die Entscheidung darüber, welche Daten künftig über das Smart Meter Gateway laufen müssen, soll ausschließlich bei der Bundesnetzagentur und dem BSI liegen. Vor etwa zwei Jahren war im Bundestag noch bewusst entschieden worden, dass eine sogenannte Positivliste eingeführt wird. Nur bestimmte Daten müssen zwingend über das intelligente Messsystem laufen. Jetzt, mit dem neuen Entwurf, könnte diese Abgrenzung gekippt werden. Der Bundestag wäre in diesem Punkt künftig außen vor. Und es wäre deutlich einfacher, andere Übertragungswege wie Internet-Clouds zu untersagen. Das ist aus unserer Sicht kritisch. Vor allem, weil es die Möglichkeit eröffnet, bestehende, praxisbewährte Modelle kurzfristig zu unterbinden.

„Vor allem die Elektromobilität würde damit massiv geschwächt. Smartes Laden über Internetverbindungen ist aktuell der Standard in Deutschland wie international. Würde man das unterbinden, wären viele innovative Lösungen sofort vom Markt verschwunden.”

e.b: Das heißt?
Bastian Gierull: Viele heute übliche Geschäftsmodelle – etwa Smart Charging, bidirektionales Laden oder die Anbindung von Home Energy Management Systeme (HEMS) – wären in ihrer bisherigen Form nicht mehr zulässig. Denn das Smart-Meter-Gateway ist technisch schlicht nicht dafür ausgelegt, zeitkritische oder datenintensive Signale zu übertragen. Die Latenzen sind zu hoch, der Rollout noch nicht weit genug, und für viele Anwendungsfälle fehlt schlicht die technische Basis.

Vor allem die Elektromobilität würde damit massiv geschwächt. Smartes Laden über Internetverbindungen ist aktuell der Standard in Deutschland wie international. Würde man das unterbinden, wären viele innovative Lösungen sofort vom Markt verschwunden.
Wir fragen uns, was hinter dieser Entwicklung steckt.

Herausforderungen beim Lieferantenwechsel innerhalb von 24 Stunden

e.b: Kommen wir noch zu einem weiteren wichtigen Thema: Der verpflichtende 24-Stunden-Lieferantenwechsel ist am 6. Juni in Kraft getreten. Wie lief die Umstellung bei Octopus Energy?
Bastian Gierull: Unsere Systeme haben den Start reibungslos gemeistert. Wir sind digital gut aufgestellt und konnten die neuen Prozesse pünktlich umsetzen. Das liegt zum einen an unserer Plattform von „Kraken“, die sehr leistungsfähig und flexibel ist. Zum anderen haben wir frühzeitig den Fokus darauf gelegt, dass der Prozess auch wirklich funktioniert – aus Überzeugung, aber auch im Sinne der Kund:innen. Denn am Ende zählt: Der Wechsel muss einfach, digital und reibungslos funktionieren. Genau das wollen wir bieten.

Das eigentliche Problem liegt aus unserer Sicht aber nicht bei uns, sondern bei vielen anderen Marktteilnehmern. Knapp acht Wochen nach dem Start sehen wir immer noch erhebliche Umsetzungsprobleme. Viele Marktpartner, sowohl Versorger als auch Netzbetreiber, reagieren nicht oder nur sehr verzögert. Tausende unserer Kundinnen und Kunden stecken derzeit in Wechselprozessen fest, weil das neue System nicht funktioniert. Und das ist nicht nur ein organisatorisches Problem, es ist auch verbraucherschutzrelevant.

e.b: Inwiefern?
Bastian Gierull: Viele Verbraucher kündigen beim alten Anbieter, ziehen um und wollen direkt zu einem neuen Anbieter wechseln, zum Beispiel zu uns. Wenn der 24-Stunden-Prozess nicht funktioniert, landen sie stattdessen in der teuren Grundversorgung. Und das oft über Wochen hinweg. Das führt zu erheblichen Mehrkosten, obwohl die Kund:innen eigentlich rechtzeitig alles angestoßen haben.

Das Ganze scheitert häufig an der sogenannten Marktlokations-ID, die von den Netzbetreibern kommuniziert werden muss. Und hier liegt der nächste Engpass: Es gibt rund 866 Netzbetreiber in Deutschland. Viele davon haben noch keine funktionierenden Prozesse für den neuen Lieferantenwechsel etabliert. Nach unserer Einschätzung gibt es allein über hundert Netzbetreiber, die aktuell noch gar nicht reagieren.

„Die Bundesnetzagentur müsste hier deutlich aktiver werden. Es braucht ein klares Monitoring, eine gezielte Ansprache der säumigen Marktpartner. Und wenn nötig, auch Sanktionen.”

e.b: Welche Lösung schlagen Sie vor?
Bastian Gierull: Die Bundesnetzagentur müsste hier deutlich aktiver werden. Es braucht ein klares Monitoring, eine gezielte Ansprache der säumigen Marktpartner. Und wenn nötig, auch Sanktionen. Es kann nicht sein, dass zehntausende Verbraucher:innen bundesweit nicht wechseln können.

Aus unserer Sicht ist auch hier eine strukturelle Reform notwendig: Es sollte ein zentrales Register für Marktlokations-IDs geben, das von der Bundesnetzagentur betrieben wird. Das würde den gesamten Markt erheblich entlasten. Derzeit wird jede Information von jedem Marktakteur individuell angefordert, gepflegt und kommuniziert. Das ist weder effizient noch zukunftsfähig.

Mir ist auch wichtig zu betonen, dass viele kleinen Stadtwerke keine Schuld im engeren Sinne trifft. Viele von ihnen sind schlicht überfordert, weil ihnen Ressourcen und technische Infrastruktur fehlen. Gerade deshalb wäre es sinnvoll, zentrale Lösungen zu etablieren – um nicht jedes Mal die Verantwortung auf alle Marktteilnehmer abzuwälzen.

Zukunft von Meter-Asset-Provider-Modell

„In Großbritannien hat sich dieses Modell bereits bewährt – dort sorgt es für Tempo im Rollout und mehr Wettbewerb.”

e.b: Noch eine Frage zum Schluss: Octopus Energy arbeitet inzwischen verstärkt mit sogenannten Meter Asset Providern zusammen. Was steckt dahinter?
Bastian Gierull: Wir verfolgen das MAP-Modell schon länger. Dabei investieren externe Asset Provider – wie Calisen, Macquarie oder Horizon – in die Smart Meter-Infrastruktur. Sie sind Eigentümer der Hardware, wir als Octopus Energy übernehmen Installation, Betrieb und Verwaltung.

Das entlastet uns von hohen Investitionskosten und erlaubt es uns, schnell zu skalieren. In Großbritannien hat sich dieses Modell bereits bewährt – dort sorgt es für Tempo im Rollout und mehr Wettbewerb. Wir glauben, dass dieses Modell auch in Deutschland das Potenzial hat, dem wettbewerblichen Messstellenbetrieb neuen Schwung zu verleihen.

 

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